Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Dritter Band. (3)

  
6s6 Volksschulen. IX. Buch. 
  
die Kreisausschüsse mit Genehmigung der Schulaufsichtsbehörde zu erfolgen hat. Oiese 
Dezentralisation der Fonds hat sich als sehr segensreich erwiesen und das Interesse der 
unteren Schulverwaltungsorgane an der Volksschule neu belebt. 
Rechtliches Gebiet. Die Entwicklung des Volksschulwesens auf dem 
rechtlichen Gebiete ist in den ersten Zahren der 
Kegierungszeit Wilhelms II. von dem seit hundert Zahren verfolgten Ziele der 
Schaffung eines UAUnterrichts- oder wenigstens eines Volksschulgesetzes beherrscht. 
Im Jahre 1890 legte der Minister von Goßler einen Volksschulgesetzentwurf vor, der 
gegenüber dem Widerstande des Zentrums keine Aussicht auf Gelingen bot. Sein Nach- 
folger, der Graf Zedlitz, brachte 1891 einen Volksschulgesetzentwurf ein, der zwar die 
grundlegenden A#rbeiten des Goßlerschen Entwurfes benutzte, sich von ihm aber in wesent- 
lichen Punkten unterschied, namentlich in der Behandlung der konfessionellen Verhält- 
nisse. Er bezog das schwierige Gebiet des Privatschulwesens und das der Lehrerbildung 
mit ein und beseitigte die bisherige Schulverwaltung mit ihrer kollegialen Verfassung in 
der Bezirksinstanz, indem er sie der Verwaltung des Gemeindewesens eng anschloß. Der 
Entwurf scheiterte. Seitdem hat die preußische Staatsregierung von der Einbringung 
eines Volksschulgesetzes Abstand genommen. Mit Recht. Darum hat aber die Gesetz- 
gebung nicht stillgestanden. Man hat den Weg der gesetzlichen Ordnung einzelner Materien 
und auch hier und da, wo sich auch dieser Weg für die Monarchie nicht als gangbar erwies, 
den der Provinzialgesetzgebung beschritten. Das Bessere ist der Feind des Guten. Und 
Gutes ist viel geschaffen worden. Wir zählen erst kurz die großen Gesetze auf: Es sind die 
Volksschulerleichterungsgesetze von 1888 und 1889, das Ruhegehaltskassengesetz von 1893, 
das Anschlußgesetz für die mittleren Schulen von 1894, das Hinterbliebenenfürsorgegesetz von 
1899, das Volksschulunterhaltungsgesetz von 1906, das erste und zweite Lehrerbesoldungs-- 
gesetz von 1897 und 1909. Hier wäre darzulegen, inwiefern diese Gesetzgebung auf recht- 
lichem Gebiete dem Schutze der Schwachen und Bedrängten gedient hat. Sie hat hier 
noch nicht solche Erfolge zu verzeichnen, wie auf anderen Gebieten. Es ist noch nicht ge- 
lungen, den Bürokratismus so zu beseitigen, wie es wünschenswert ist, und noch weniger, 
soweit wie es verlangt wird. Der Grundzug ist aber doch der, die Selbstverwaltung zu 
fördern und Rechtskontrollen zu schaffen. Auf dem äußeren Gebiete tritt dieser Grundzug 
schärfer hervor. Aber die Zuständigkeiten sind grundsatzlos und verworren bestimmt, so“ 
daß es auch für die Behörden oft sehr schwer, zuweilen voraussetzungslos gar nicht möglich 
ist, die Beschwerde- oder Berufungeinstanz namhaft zu machen. Die Befugnisse der 
Staatsbehörden und der Gemeindebehörden sind gesetzlich im allgemeinen nicht abge- 
grenzt, ebensowenig die Gebiete des Innern und des Außern, der Schulaufsicht und der 
Schulverwaltung. Auf dem inneren Gebiete herrscht im allgemeinen noch das freie Er- 
messen der Schulaufsichtsbehörden. Allerdings sind die Verhältnisse der Schulvorstände 
und der Schuldeputationen im WVolkeschulunterhaltungsgesetz neu geregelt. Ihre Zusam- 
mensetzung ist im Gesetze bestimmt. Aber der Familie ist nur ein geringer Spielraum 
eingeräumt. Wohl ist für Vertretung der Gemeinde und der Kirche in ausreichender Weise 
gesorgt. Auch ist endlich gesetzlich festgelegt, daß dem Lehrerstande eine Vertretung im 
  
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