Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Dritter Band. (3)

  
74 Volkeschulen. IX. Buch. 
  
Sachsen. Im Königreich Sachsen hat man seit dem Jahre 1908 große Mühe darauf 
e verwendet, das Volksschulgesetz von 1873, nach dem die Schulge- 
meinde, nicht die politische, die Trägerin der Volksschullast ist, neu zu gestalten. Die Ver- 
handlungen, bei denen charakteristisch war, daß zum erstemmal in Deutschland die organi- 
sierte Lehrerschaft daran teilgenommen hat, sind 1912 an der Zwiespältigkeit der Auf- 
fassung der ersten und zweiten Kammer, namentlich bezüglich der Erteilung des Reli- 
gionsunterrichts, der Einführung der allgemeinen Volksschule und der Schulgelderhebung 
gescheitert. Die Gehaltsverhältnisse der Volksschullehrer sind durch mehrere neue Ge- 
setze, in denen auch über die den Gemeinden aus der Staatskasse zu gewährenden Bei- 
bilfen Bestimmung getroffen ist, geordnet (zuletzt 1908). In der Durchführung der fach- 
männischen Schulaufsicht ist Sachsen weit vorgeschritten; in der Mittelinstanz (Bezirks- 
schulinspektion) sind nur Fachmänner tätig. Die Lehrerbildung kann sich in Sachsen 
vermöge der höher gebildeten und besoldeten Seminarlehrerschaft höhere Ziele setzen, als 
sonst in Deutschland. Sachsen hat zuerst den Weg beschritten, eine Auslese von Volksschul- 
lehrern zur Universität zuzulassen und diesen nach Ablegung ener besonderen Prüfung 
eine höhere Laufbahn zu eröffnen. 
Auch in den meisten lleineren deutschen Staaten ist 
im letzten Vierteljahrhundert das Volksschulwesen durch 
neue Gesetze umgestaltet worden. Uberall sind neue Lehrerbesoldungsgesetze erlassen, 
für deren Aufbau meist die preußischen Grundzüge als Muster gedient haben. Von 
umfassenden Volksschulgesetzen mögen hier folgende genannt sein. Das Gothaische Ge- 
setz von 1906 gewährt ein erfreuliches Bild von dem wohlgeordneten Volksschulwesen 
eines deutschen Kleinstaates, der den Traditionen Herzos Ernst des Frommen tren 
geblieben ist. Das Sachsen-Meiningensche Gesetz von 1908 hat dadurch Aufsehen er- 
regt, daß es dem Geistlichen überhaupt keinen Platz in dem örtlichen Schulvorstand 
einräumt. In Sachsen-Weimar sind 1911 neue Ausführungsbestimmungen zum Volks- 
schulgesetz erschienen und ist ein Hinterbliebenengesetz erlassen. Im Oldenburgischen Ge- 
setz von 1910 spiegeln sich im kleinen die Schwierigkeiten wieder, welche der Abfassung 
eines Bolksschulgesetzes in einem konfessionell gemischten Staate entgegenstehen. Es 
umfaßt auch das Privatschulwesen. Das öffentliche Volksschulwesen steht auf dem Boden 
der Konfessionalität. In Elsaß-Lothringen sind 1908 wenigstens in zwei Beziehungen 
Fortschritte erzielt worden: die Lehreranstellung ist ganz und gar den Bezirkspräsidenten 
übertragen, die bisher oft hemmenden Befugnisse des Ortsschulvorstandes sind gemildert 
worden, und zum erstenmal ist den Lehrern Zutritt zum Ortsschulvorstand eröffnet 
worden. Das neueste umfassende Volksschulgesetz ist das Braunschweigische von 1913. 
Zurzeit schweben Verhandlungen über neue Volksschulgesetze in Lippe und in Hamburg. 
Andre kleinere Staaten. 
  
Die Erkenntnis, daßesnicht möglichist, inder allgemeinen 
Volksschule der Jugend des Mittelstandes die genügende 
Vorbildung für gewerbliche und kunstgewerbliche Berufe 
und für den Handel zu geben, während die Bildung der höheren Schulen für diese Zugend 
Klassen mit erweiterten 
Unterrichtszielen. 
  
  
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