Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Dritter Band. (3)

  
IX. Buch. Die Fach- und Fortbildungsschulen. 89 
  
Überwiegend Zeichenschulen, in denen die bistorischen Stilarten gepflegt und das Orna- 
mentieren gelehrt wurde. Als sich dann von den 90er Jahren ab in Kunst und Kunst- 
gewerbe die große innere Wandlung vollzog, die zu der Abkehr von den Stilnachahmungen 
fübrte und als Ziel das sachgemäße und materialgerechte Bilden setzte, ergriff diese 
Bewegung auch die Kunstgewerbeschulen. Die Pflege der historischen Stile wurde dem 
kunstgeschichtlichen Unterricht überlassen und ein eifriges und liebevolles Studium der 
Natur zum Ausgangspunkt der kunstgewerblichen Erziehung gemacht. Fetzt konnte auch 
die Schule, die ihre Schüler zum sachgemäßen und materialgerechten Bilden erziehen 
wollte, nicht mehr bloße Zeichenschule bleiben. Die Schüler mußten die Möglichkeit 
haben, in ihrem Material zu arbeiten und Ausführungsproben zu ihren Entwürfen zu 
machen. So geschah es, daß nach und nach bei allen Handwerker- und Kunstgewerbe- 
schulen Werkstätten eingerichtet wurden. Oiese dienen nicht dazu, Gegenstände für den 
Absatz herzustellen, sondern sie sind eines der wichtigsten Mittel zur Bildung und Er- 
ziehung des kunstgewerblichen Nachwuchses. Welche Bedeutung die kunstgewerblichen 
Lehranstalten als Bildungsstätten für die Zugend besitzen, kann man daran erkennen, 
daß die preußischen Schulen (für die übrigen stehen die Zahlen nicht zur Verfügung) 
im Winter 1912—1913 von 3525 Tagesschülern und 11 738 Abendschülern besucht wur- 
den. Der kunstgewerblichen Erziehung dienen außer den Handwerker- und Kunstgewerbe- 
schulen noch eine Reihe von Spezialfachschulen, wie die Holzschnitzschulen, die keramischen 
und Glas-Fachschulen, die photographischen Lehranstalten und mehrere andere. 
Bei den Fachschulen für das Baugewerdbe ist in den 
Baugewerbeschulen. 
8 sch letzten 25 Jahren eine für das ganze Reich maßgebende 
einheitliche Organisation durchgeführt. Die Führung hierbei hat die preußische 
Regierung gehabt, indem sie die vorhandenen Baugewerksschulen bis auf eine ver- 
staatlichte, ihre Zahl durch eine Reihe von Neugründungen vermehrte, die Anstellungs-, 
Besoldungs- und Titelverhältnisse der Lehrer nach dem Mufter der höheren Lehr- 
anstalten regelte, und schließlich einheitliche Lehrpläne und Prüfungen einführte. 
Den im Besitz der Einjährigen-Berechtigung befindlichen Absolventen der Bau- 
gewerksschulen wurde außerdem von den zuständigen Staats- und Reichsbehörden 
die Laufbahn der Bausekretäre, der technischen Eisenbahnsekretäre, Eisenbahn-Betriebs- 
ingenieure und Eisenbahn-Ingenieure sowie der technischen Sekretariats-Aspiranten bei 
der Marineverwaltung eröffnet. Der Wunsch, diese Berechtigungen auch den Absol- 
venten ihrer Baugewerksschulen zu verschaffen, veranlaßte die übrigen Bundesstaaten, 
die preußische Organisation und die preußischen Lehrpläne anzunehmen. Der im Jahre 
1899 erlassene Normallehrplan, der einen viersemestrigen Aufbau vorsah, wurde vom 
Jahre 1908 dahin umgestaltet, daß der Lehrgang auf 5 Halbjahre erweitert wurde. 
Die Baugewerksschulen zerfallen in Hoch- und Tiefbauabteilungen. Beide Abteilungen 
haben in den ersten 3 Halbjahren gemeinsamen, in den letzten beiden Halbjahren ge- 
trennten Unterricht. Aufnahmefähig sind junge Leute, die das 16. Lebensjahr voll- 
endet haben, den Lehrstoff einer mehrklassigen Volksschule beherrschen und eine hand- 
werksmäßige Tätigkeit im Baugewerbe von 12 Monaten nachweisen können. 
  
7255 1139
	        
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