Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Dritter Band. (3)

  
IX. Buch. Oie Fach- und Fortbildungesschulen. 93 
  
Arbeiterin und als künftige Gattin und Mutter Rechnung trägt. Die Frage des Lehr- 
plans löst sich verhältnismäßig am leichtesten für die Klassen der ungelernten Arbeite- 
rinnen; hier kann dem hauswirtschaftlichen Unterricht neben der Lebenskunde ohne 
weiteres der größte Platz eingeräumt werden. Bei den übrigen Gruppen, also den 
gelernten weiblichen Arbeiterinnen, den Kontoristinnen und den Verkäuferinnen, bleibt, 
wenn es nicht möglich ist, die Zahl der Unterrichtsstunden zu vermehren, nichts anderes 
Übrig, als den fachlichen Unterricht so weit einzuschränken, daß etwa ein Viertel der 
Unterrichtszeit dem hauswirtschaftlichen Unterricht gewidmet werden kann. Dies ist 
auch der Standpunkt, den der preußische Handelsminister der erwähnten Streitfrage 
gegenüber eingenommen hat. 
Fachschulen. Früher als das Fortbildungsschulwesen ist das Fachschulwesen 
für die weibliche Zugend zur Entwickelung gelangt. Es entsprach 
nach dem Gesagten und einem Gebote der Gerechtigkeit, daß der Frau die Pforten 
derjenigen Fachschulen geöffnet würden, die für ihre Erwerbstätigkeit in Betracht 
kommen. So haben Frauen Zutritt zu den Kursen der Kunftgewerbeschulen und der 
Textilfachschulen, und sie finden dort auch besondere Klassen zur Pflege der weiblichen 
Kunsthandarbeiten und der Konfektion. Außerdem aber sind — und das gilt in be- 
sonderem Maße von den letzten 25 Jahren — besondere Fachschulen für die weibliche 
Zugend errichtet worden. Zum Teil dienen sie der Pflege einzelner Zweige der weib- 
lichen Kunstfertigkeit, wie Stickschulen, Spitzenklöppelschulen, Handschuh- und Kravatten- 
nähschulen. Indes haben diese Schulen, so wertvoll sie im einzelnen sind, zumeist 
mehr örtliche Bedeutung. Von sehr viel weiter reichender Wirksamkeit sind die zahl- 
reichen und immer noch einer weiteren Vermehrung bedürftigen Gewerbe- und 
Haushaltungsschulen. Sie verdanken ihre Entstehung der Wirksamkeit weitblickender 
Volksfreunde (Lette) und gemeinnütziger Vereine (Vaterländischer Frauenverein), 
erst in den letzten Zahren haben sich der Staat und die Gemeindeverwaltungen 
dieser Schulen angenommen. Zn Preußen bestehen sogar vierstaatliche Anstalten 
(Posen, Potsdam, Rhendt und Thorn), von denen jedoch drei als Privatunter-- 
nehmen entstanden sind. Die größeren Anstalten dieser Art umfassen (außer einer 
Handelsschule, siehe oben) in der Regel eine Haushaltungsschule mit einjährigem 
Lehrgang für Kochen, Backen und Einmachen, Waschen und Plätten, Hausarbeit, ein- 
fache Handarbeiten, Maschinennähen, Gesundheitslehre, Kinder- und Krankenpflege. 
Alle diese Gebiete werden in dem Umfange behandelt, in dem das junge Mädchen sie 
später an der eigenen Wirtschaft beherrschen muß. Eine weitere Abteilung dieser An- 
stalten bilden die Gewerbeschulen mit teilweise längeren Lehrgängen für einfache Hand- 
arbeit, Maschinennähen und Wäscheanfertigung, Schneidern, Putzmachen, Waschen und 
Plätten, Kochen und Backen, Kunsthandarbeiten, Zeichnen und Malen, in denen die 
Schüllerinnen so weit gefördert werden, daß sie zur gewerblichen Betätigung auf dem 
erwählten Gebiet befähigt sind. Einzelne dieser Anstalten sind mit Pensionaten und 
mit Seminaren sowohl für Handarbeits- und Hauswirtschaftslehrerinnen wie für Ge- 
werbeschullehrerinnen verbunden. 
  
1143
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.