Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Dritter Band. (3)

  
s Philosophie. . Buch. 
  
Eucken und Münsterberg beigetragen haben. Den Philosophen wurde die Erfüllung 
dieser Aufgaben um so leichter, als sie durch die Ethik und Isthetik, durch die Rechts- 
und Religionsphilosophie, durch die Sprachphilosophie und die Philosophie der Ge- 
schichte zahlreiche und alte Beziehungen zu den Geisteswissenschaften und ihren Pro- 
blemen besaßen. Vor allem mußte es bei den Vertretern dieser Disziplinen großen 
Anklang finden, daß die Eigenart und Selbständigkeit ihres Verfahrens anerkannt und 
mit dem Vorurteil aufgeräumt wurde, als seien die Mathematik und die mathematische 
Naturwissenschaft die schlechthin vorbildlichen Wissenschafteen und die Geisteswissenschaften 
erst in den Anfängen einer Entwickelung begriffen, die jene bereits zurückgelegt hätten. 
Bei all diesen Bemühungen der Philosophie, es den Einzel- 
wissenschaften gleich und genug zu tun, hat sich auch der Geist des 
Verfahrens und Wesens der letzteren auf sie herabgesenkt. Besondere Gegenstände und 
Methoden wie die Einzelwissenschaften zu haben, ein eigenes Feld wie sie zu bebauen, 
von ihrer Gunst und Richtung dabei unabhängig zu sein — das war ein Hauptziel in 
dem großen Regenerationsprozeß der Philosophie geworden. Oie Einzelwissenschaften 
gedeihen vor allem durch Einzelforschung, nicht durch Lehrbücher und Kompendien, die 
das erworbene Wissen bloß zusammenfassen. So ist auch die Philosophie diesem Beispiel 
gefolgt und hat sich auf allen Gebieten in Spezialarbeiten betätigt. Systemlosigkeit 
war für Hegel ein Zeichen der Unwissenschaftlichkeit gewesen. Zetzt schienen die Systeme 
ganz außer Kurs geraten zu sein. Die Wenigen, die es damit versuchten, fanden nicht 
sowohl mit ihrem System, als vielmehr mit einzelnen darin ausgebildeten Lehren 
Beachtung und Anerkennung. Untersuchungen über das negative Urteil, über die ästhe- 
tische Bedeutung des Rahmens, über das Verhältnis des Ganzen zu den Teilen, über die 
Mglichkeit eines psychischen Maßes u. dgl. waren an der Tagesordnung. Damit wuchs 
das Bedürfnis nach Zeitschriften, den natürlichen Sammelstätten für solche Arbeiten. Wir 
haben in Deutschland allein gegenwärtig 5 Zeitschriften, die spstematisch-philosophische 
Abhandlungen aufnehmen, dazu mehrere psychologische und eine ästhetische nebst einer 
ganzen Anzahl von einzelnen Philosophen herausgegebener Sammlungen von Abhand- 
lungen zur Philosophie und ihrer Geschichte, sowie zur Pspchologie. Man hat trotzdem 
den Eindruck, daß die Zahl dieser Periodika nicht ausreicht, und daß wir bald besondere 
Organe für Logik, Erkenntnistheorie, Phänomenologie, Ethik usw. erhalten werden und 
erhalten müssen. 
Spezialarbeiten. 
  
Das starke Durchflochtensein der Philosophie der Gegenwart mit einzel- 
wissenschaftlichen Interessen und Aufgaben hat sie auch befähigt, einige 
ihrer Disziplinen als Einzelwissenschaften auszubilden und zu betreiben. Seit 
TComte eine Soziologie nach dem Muster der Mechanik als Lehre von der Statik und 
Opnamik der menschlichen Gesellschaft begründet hatte, sind die Bemühungen um eine 
solche Wissenschaft nicht erlahmt. Doch sind die Biologie, die Pspchologie und die einzelnen 
Sozialwissenschaften, wie die Politik und die Nationalökonomie, dabei an die Stelle der 
Mechanik getreten. Namentlich hat sich eine Sozial- und Völkerpsychologie entwickelt, 
Soziologie. 
  
1152
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.