10 Philosophie. X. Buch.
von den Voraussetzungen einer bestimmten Weltanschauung erstrebt. Selbst die
Metaphosik wird heute, nachdem besonders Wundt in seinem großangelegten Sostem
der Philosophie dafür eingetreten ist, im Sinne der empirischen Einzelwissenschaften
und als deren Vollendung und Krone aufgefaßt und behandelt. Es bleibt dabei
freilich nicht aus, daß sie je nach der Betonung der einzelwissenschaftlichen Grundlage
einen verschiedenen TCharakter annimmt. Materialistisch oder monistisch pflegt sie aus-
zufallen, wenn die Naturwissenschaften ihre einzige oder wichtigste Stütze bilden, spiri-
tualistisch wird ihre Tendenz, wenn Pspchologie und Geisteswissenschaften ihre Durch-
führung in erster Linie bedingen. Doch gibt es daneben auch heute noch Philosophen,
die eine Weltanschauungelehre in wissenschaftlicher Form nicht für möglich halten und
es den Einzelnen überlassen, dahin zielende Bedürfnisse nach eigenem Geschmack und
auf eigene Hand zu befriedigen.
Relativismus. Die Ansprüche der absoluten Philosophie werden bei dieser einzel-
wissenschaftlichen Wendung vielfach aufgegeben, und es droht ein
Kelativismus Mlatz zu greifen, der alles auf Erfolge hin wertet, die erzielt werden
sollen, oder die alte sophistische Weisheit von dem Menschen als Maß aller Dinge
erneuert. Pragmatismus und Humanismus nennt sich diese besonders in England
und den Vereinigten Staaten groß gewordene Richtung. Letzte Werte und Wahr-
heiten erkennt sie nicht an. Unmittelbare Einsichten, wie sie z. B. den Ariomen
zugeschrieben worden sind, gelten ihr nichts. Oft, aber vergeblich, ist darauf bin-
gewiesen worden, daß dieser Relativismus zum Skeptizismus führe und sich selbst
aufhebe: zur Kritik einer Lehre bedürfe man des sicheren Naßstabs, zur Behauptung
einer Ansicht der zuverlässigen Voraussetzung. Aber als bloße Konstatierung einer
Tatsache, eben der Relativität aller Wahrheit, ist der Pragmatismus gegen solche
dialektischen Einwände geschützt. Es kann da nur noch gefragt werden, ob diese Tatsache
besteht und ob die Konstatierung richtig ist. Sicherlich gilt sie für viele Fälle, wie das
Verfahren der Einzelwissenschaften zeigt. Man denke nur an die Arbeitshypotbesen,
an die Aufstellung zweckmäßiger Hilfsannahmen, an die Unbeweisbarkeit der Ariome,
an die Willkür der Definitionen und die Abhängigkeit aller spezielleren Sätze von ihnen.
Aber irgendein Absolutum, und sei es auch nur das eigene liebe Och, ist auch für den
Relatioisten vorhanden, und so pflegt er das Leben und seine Forderungen oder den
Menschen und seine Bedürfnisse oder das höchste Ziel eines Ubermenschentume stillschwei-
gend oder auedrücklich als letzten Maßstab aller Wahrheit zu benutzen und anzuerkennen.
Die Tendenz der Vertreter der Einzelwissenschaft ist in der Gegenwart zumeist
eine positioistische, d. h. sie treiben eine philosophische Theorie ihrer Wissenschaft
und empfinden keine Veranlassung, über deren Ergebnisse hinauszugehen. Dabei
gilt es manchen Naturwissenschaftlern als geboten, die Erfahrung in ihrer ursprüng-
lichen, dem Bewußtsein des Forschers gegebenen Form als den Gegenstand der Er-
kenntnis zu betrachten und dadurch in einen Zwiespalt mit der offenkundigen Intention
ihrer Wissenschaft zu geraten. Daneben wird von Begriffen gesprochen, deren wichtigste
Grundlage ein denkökonomisches Verfahren bilden soll. Es gibt auch Phbilosophen,
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