X. Buch. Philosophie. 11
welche sich dieser Auffassung anschließen, die nur noch die Einzelwissenschaft als eigent-
liche Wissenschaft anerkennen und damit auf alle Sonderaufgaben und #interessen der
Philosophie verzichten. Aber die letzten 25 Zahre haben dem Positioismus in dieser
Gestalt kaum einen Zuwachs gebracht. Die Richtung auf Absolutes ist erstarkt, die selb-
ständige Energie und Schöpferkraft der Philosophie ist wieder erwacht, und so fehlt
es auch nicht an Einzelforschern, die nach dem metaphysischen Lorbeer greifen, die ihre
Gegenstände und ihre Erkenntnisse verabsolutieren und zu einer Weltanschauung er-
weitern und verdichten.
Materialistischer Monismus. Haeckels Welträtsel sind dafür ein unerfreuliches
und bezeichnendes Beispiel. Sein Materialis-
mus oder Moniemus ist genau so unklar und philosophisch unorientiert, genau so an-
spruchsvoll und unvorsichtig wie der seiner Vorgänger Moleschott und Büchner. Von
einer Auseinandersetzung mit erkenntnistheoretischen Gesichtspunkten oder abweichen-
den Theorien ist kaum die Rede. Ein Popanz von ODualismus wird aufgerichtet
und mit wohlfeilen Kraftausdrücken niedergeworfen. Oieser seichte Dogmatismus hat
in wissenschaftlich und philosophisch gebildeten Kreisen Ablehnung und Widerlegung
gefunden. Aber er ist von der großen Masse Urteilsloser, die sich dem autoritatioen
Einfluß ihrer Kirche entzogen hatten, um so lieber als das „Resultat der Wissenschaft“,
als die Weltanschauung des Naturforschers begrüßt und angenommen worden. Gewiß
ist das kein günstiges Zeichen für die Höhe unserer geistigen Kultur. Aber darum braucht
man noch nicht nach der staatlichen oder kirchlichen Polizei zu rufen. Auf diesem Felde
sollte der Kampf nur mit geistigen Waffen geführt werden. Die Urteilslosen sind die
Sachunverständigen. Belehrungen, nicht Befehle, Aufklärung, nicht Verfolgung, Er-
ziehung zu selbständiger Einsicht, nicht Knechtung, Bestrafung und Drohung sind zu
ihrem Besten aufzubieten und anzuwenden.
Materialistische Der materialistischen Naturbetrachtung ist eine materia-
Geschichtsauffassung. listische Geschichtsauffassung zur Seite getreten, die
namentlich von einer bestimmten politischen Partei, der
sozialdemokratischen, anerkannt wird, seit das kommunistische Manifest von Marz
und Engels im Jahre 1849 die Grundzüge dafür aufgestellt und das Hauptwerk des
erstgenannten eine nähere Ausführung darüber gegeben hatte. Die Produktionsweise
des materiellen Lebens bedingt hiernach den sozialen, politischen und geistigen Lebens-
prozeß Überhaupt. Die Zdeen, die früher, auch noch den Philosophen der französischen
Revolution, als die treibenden Kräfte galten, sind hier zu bloßen Reflexen, Begleit-
und Folgeerscheinungen eines materiellen Mechanismus geworden. Es liegt auf der
Hand, daß auch diese Lehre einen bestimmten Vorgang verabsolutiert, eine zweifellos
bestehende Entwicklungsrichtung einseitig zur alleingültigen erhebt. Eine genauere
Würdigung der zu deutenden Tatsachen zeigt immer llarer und unwiderleglicher, daß
in der sozialen wie in der individuellen Sphäre die Wechselwirkung zwischen geistigen
und materiellen Faktoren die Regel ist.
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