X. Buch. Philosophie. 13
an der gleich zu erwähnenden, sich ebenfalls eines intuitiven Verfahrens bedienenden
Pbänomenologie teilnimmt.
Oiese fordert und übt ein ausgezeichneter deutscher
Pbilosoph, der in Göttingen wirkende Husserl.
Von einer gründlichen Kritik des Psychologismus, in den er selbst verstrickt war, aus-
gegangen, hat er zunächst der Logik durch eine virtuos gehandhabte Bedeutungsanalpse
die wissenschaftliche Selbständigkeit geben wollen. Aber das an den Bedeutungen
erprobte Verfahren ihrer Klärung, der Erfüllung ihrer Intentionen wurde alsbald auf
beliebige Phänomene angewandt und erwies sich auch ihnen gegenüber als eine
überaus fruchtbare Methode. Alles, was zur unmittelbaren Gegebenheit gebracht
werden konnte, ließ sich auf sein Wesen untersuchen und die hinreichende Prüfung
des Ergebnisses an dem jederzeit in Uarer Vergegenwärtigung erfaßbaren Phänomen
vornehmen. Wesensschauung nennt sich diese Intuition. Sie ist streng durchführbar
und macht die Philosophie, die sich ihrer bedient, zur strengen Wissenschaft, die sie bis-
her noch nicht gewesen. Hier ist absolute, restlose Einsicht möglich und damit ein Funda-
ment für alle Erkenntnistheorie zu gewinnen, das sich an Solidität mit der Mathematik
messen kann. Auch schon vorher war auf die Tatsachen des Bewußtseins als einen Gegen-
stand der Erkenntnis, ja selbst der Naturwissenschaft hingewiesen worden. Daß man
aber an ihnen eine besondere Aufgabe zu lösen, ihr Wesen zunächst einmal für sich fest-
zustellen habe, war jenen Immanenzphilosophen nicht eingefallen. Das Selbstverständ-
liche wird — so zeigte sich auch hier — am spätesten zum Problem.
Ein unabsehliches Arbeitsfeld tut sich hier in der Tat auf. Die Gesamtheit unserer
Erfahrung, unserer Bewußtseinswirklichkeit, die wir durch eigenes Erleben so gut zu
kennen glauben, und für die wir viele Namen seit langer Zeit zur Verfügung haben,
wird zum aufklärungsbedürftigen und einer vollen und strengen Einsicht in sein Wesen
zugänglichen Gegenstande. Unser Wollen und Fühlen, unsere Empfindungen und Vor-
stellungen, die vorgefundene Innenwelt in ihrer ganzen Bielgestaltigkeit und daneben
die farbige, tönende, über weite Räume verteilte Außenwelt des naiven Bewußtseins
kann der genauesten Analpse unterworfen werden. BNicht bloß zum Zweck der Ver-
ständigung über die Erfahrung zwischen verschiedenen Subjekten, nicht bloß als Ausgangs-
punkt einer auf reale Objekte gerichteten Beobachtung und Forschung, sondern als Selbst-
zweck stellt sich diese Phänomenologie auf den Plan. Sie darf beanspruchen überall beachtet,
berücksichtigt und betrieben zu werden, wo Gegebenes, wo reine Erfahrung eine Rolle
spielt. Schon R. Avenarius hatte eine solche Richtung einzuschlagen versucht. Aber indem
er die psochophpsischen Beziehungen zu einem realen System, dem Gehirn, zur Haupt-
sache für seine reine Erfahrung machte, entglitt ihm die unmittelbare Analpse des Ge-
gebenen selbst. Hier dagegen ist die Erfahrung ohne Voraussetzung einer solchen Theorie
zum letzten und eigentlichen Gegenstand der phänomenologischen Eikenntnis geworden.
Unbefangene Einstellung auf den bloßen Gehalt der vorgefundenen Wirklichkeit, das
Gerichtetsein auf einen Bestandteil derselben, unabhängig von seinem Berflochtensein
in ein Reich realer Beziehungen, von seiner Bedeutung für anderes, von idealen Be-
Husserl's Phänomenologie.
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