16 Philosophie. X. Buch.
stimmungen und Verwendungen, kann allein zur phänomenologischen Aufklärung über
das, was es als dies Wirkliche ist, führen.
Wenn eine Philosophie den Namen einer Wirrklichkeitswissenschaft verdient hat,
so ist es diese. Damit ist zugleich gesagt, daß sie nicht die ganze Philosophie ist und sein
kann. Bielleicht wird sie dereinst zu einer das Wesentliche heraushebenden Lehre von
den Gegebenbeiten desn Bewußtseins und damit zu einer Grundlage für die Wissen-
schaften von den realen und den idealen Objekten werden. Wie dem auch sein mag,
ledenfalls hat die Philosophie sich auch hier schöpferisch erwiesen und eine Aufgabe
ergriffen, deren Fruchtbarkeit in Erstaunen setzt, nachdem sie so lange unwerstanden
geblieben war. Gewiß ist noch manches an der bier eingeschlagenen Methode unklar,
gewiß sind auch die Ergebnisse noch nicht so einwandfrei und allgemeingültig, wie
erwartet und verkündet wird. Auch werden schwierige Auseinandersetzungen mit der
Pfochologie und mit der Erkenntnistheorie nicht zu vermeiden sein. Aber unsere Zeit
bat sich mit dieser Phänomenologie und ihrer intuitiven Methode das Verdienst er-
worben, der wissenschaftlichen Entwickelung eine neue weithin sich erstreckende Bahn
eröffnet zu paben. Dabei wird etwas Absolutes, die Tatsache schlechthin, in ihrer
eigentlichsten Beb##utung, gefaßt und bestimmt.
Windelbands Philosophie Wieder in anderer Weise wird die Tendenz zu einer
der Werte. absoluten Philosophie in der Windelbandschen
— Pdilosophenschule erkennbar, welche im Sinne einer
schon von Lotze gewiesenen Aufgabe die allgemeingültigen Werte als den Gegenstand
betrachtet, mit dem sich die Philosophie zu beschäftigen habe, und demgemäß eine Logik
als Lehre von der Wahrheit, eine Ethik als Lehre von der Gutheit und eine Isthetik als
Lehre von der Schönheit unterscheidet. Die metaphysische Realität eines diese absoluten
Werte zusammenfassenden Normalbewußtseins ist der Gegenstand der Religion, welche
die Zugehörigkeit zu einer Welt geistiger Werte zum Ausdruck bringt. Die Selbständig-
keit gegenüber den Einzelwissenschaften wird der Philosophie hier durch die ihr eigen-
tümliche kritische Methode gesichert, die alle menschlichen Vernunfttätigkeiten darauf-
bin untersucht, wie weit darin allgemeine, von den spezifischen Bedingungen der Mensch-
heit unabhängige, rein sachlich in sich begründete Vernunftinhalte zum Bewußtsein
und zur Geltung gelangen. Emnirisch gegeben sind die psychischen Funktionen des
Vorstellens, Fühlens und Wollens und die historischen Gestaltungen der Wissenschaft,
Sittlichkeit und Kunst. An ihnen sind die Vernunftinhalte von übergreifender Be-
deutung durch die kritische Besinnung aufzudecken.
Diese Lehre bringt die große Wahrheit zum Auedruck, daß unsere Werturteile
eines letzten Maßstabes, einer höchsten Norm in jedem Wertgebiet bedürfen, daß
unsere Bestrebungen ebenso die Richtung auf ein fernstes Ziel einschlagen, daß wir
somit ein einheitlich abgestuftes Wertsystem bilden und brauchen, in dem die unter-
geordneten GElieder nur insofern Werte sind und Wert haben, als sie an den obersten
Bestimmungen teilnehmen. Ob freilich diese letzten Instanzen, an die wir urteilend,
wollend und schaffend appellieren, keine unausgleichbaren individuellen Anterschiede
1160