Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Dritter Band. (3)

  
16 Philosophie. X. Buch. 
  
stimmungen und Verwendungen, kann allein zur phänomenologischen Aufklärung über 
das, was es als dies Wirkliche ist, führen. 
Wenn eine Philosophie den Namen einer Wirrklichkeitswissenschaft verdient hat, 
so ist es diese. Damit ist zugleich gesagt, daß sie nicht die ganze Philosophie ist und sein 
kann. Bielleicht wird sie dereinst zu einer das Wesentliche heraushebenden Lehre von 
den Gegebenbeiten desn Bewußtseins und damit zu einer Grundlage für die Wissen- 
schaften von den realen und den idealen Objekten werden. Wie dem auch sein mag, 
ledenfalls hat die Philosophie sich auch hier schöpferisch erwiesen und eine Aufgabe 
ergriffen, deren Fruchtbarkeit in Erstaunen setzt, nachdem sie so lange unwerstanden 
geblieben war. Gewiß ist noch manches an der bier eingeschlagenen Methode unklar, 
gewiß sind auch die Ergebnisse noch nicht so einwandfrei und allgemeingültig, wie 
erwartet und verkündet wird. Auch werden schwierige Auseinandersetzungen mit der 
Pfochologie und mit der Erkenntnistheorie nicht zu vermeiden sein. Aber unsere Zeit 
bat sich mit dieser Phänomenologie und ihrer intuitiven Methode das Verdienst er- 
worben, der wissenschaftlichen Entwickelung eine neue weithin sich erstreckende Bahn 
eröffnet zu paben. Dabei wird etwas Absolutes, die Tatsache schlechthin, in ihrer 
eigentlichsten Beb##utung, gefaßt und bestimmt. 
Windelbands Philosophie Wieder in anderer Weise wird die Tendenz zu einer 
der Werte. absoluten Philosophie in der Windelbandschen 
— Pdilosophenschule erkennbar, welche im Sinne einer 
schon von Lotze gewiesenen Aufgabe die allgemeingültigen Werte als den Gegenstand 
betrachtet, mit dem sich die Philosophie zu beschäftigen habe, und demgemäß eine Logik 
als Lehre von der Wahrheit, eine Ethik als Lehre von der Gutheit und eine Isthetik als 
Lehre von der Schönheit unterscheidet. Die metaphysische Realität eines diese absoluten 
Werte zusammenfassenden Normalbewußtseins ist der Gegenstand der Religion, welche 
die Zugehörigkeit zu einer Welt geistiger Werte zum Ausdruck bringt. Die Selbständig- 
keit gegenüber den Einzelwissenschaften wird der Philosophie hier durch die ihr eigen- 
tümliche kritische Methode gesichert, die alle menschlichen Vernunfttätigkeiten darauf- 
bin untersucht, wie weit darin allgemeine, von den spezifischen Bedingungen der Mensch- 
heit unabhängige, rein sachlich in sich begründete Vernunftinhalte zum Bewußtsein 
und zur Geltung gelangen. Emnirisch gegeben sind die psychischen Funktionen des 
Vorstellens, Fühlens und Wollens und die historischen Gestaltungen der Wissenschaft, 
Sittlichkeit und Kunst. An ihnen sind die Vernunftinhalte von übergreifender Be- 
deutung durch die kritische Besinnung aufzudecken. 
Diese Lehre bringt die große Wahrheit zum Auedruck, daß unsere Werturteile 
eines letzten Maßstabes, einer höchsten Norm in jedem Wertgebiet bedürfen, daß 
unsere Bestrebungen ebenso die Richtung auf ein fernstes Ziel einschlagen, daß wir 
somit ein einheitlich abgestuftes Wertsystem bilden und brauchen, in dem die unter- 
geordneten GElieder nur insofern Werte sind und Wert haben, als sie an den obersten 
Bestimmungen teilnehmen. Ob freilich diese letzten Instanzen, an die wir urteilend, 
wollend und schaffend appellieren, keine unausgleichbaren individuellen Anterschiede 
  
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