20 " Philo sophie. X. Buch.
lutioniert, so hält die Wirklichkeit nicht aus. Was im Leben wahr, groß und göttlich ift,
ist es durch die gZdee. In dieser Betonung der Idee als der Bedingung aller Besserung
und Vervollkommnung liegt der Primat des Absoluten vor dem Relativen und die
Bedeutung der absoluten Philosophie ausgedrückt. Der Höhe des Ziels entspricht die
Höhe der Leistung, der vollen Hingabe an das absolute Ziel entspringt die Fähigkeit,
seinen Ansprüchen gerecht zu werden.
So mag auch das lebendige Interesse der Gegenwart an philosophischen Problemen
und Betrachtungen in den geschilderten Ansätzen zur absoluten Philosophie, in der
Kichtung auf letzte Tatsachen, Werte, Gesetze und Realitäten seine Befriedigung, seine
Erhebung und seine fruchtbare Ergießung über alle Gefilde des Lebens und der Wirk-
samkeit finden! Eoe ist heute freilich einem einzelnen kaum mehr vergönnt, alle Formen
zu einer grandiosen Einheit zu verbinden. Wir sind zu vorsichtig und gründlich, zu spezia-
listisch und von der gewaltigen Entwickelung der Einzelwissenschaften zu sehr bedrängt
und abhängig, als daß im gleichen Maße Phänomenologie und Wertlehre, positioistischer
Kritizismus und Metaphysik von einem einzigen ausgestaltet und zu einer absoluten
Ptbilosophie vereinigt werden könnten. Aber keine Zeit hat zugleich das Prinzip der
Arpbeitsgemeinschaft, der Bündnisse und Verträge, die Selbständigkeit der Verbände
gegenüber ihren Gliedern und der alle Schranken der Individualität überfliegenden
Kulturbewegung so konkret ausgebildet und sich so praktisch angeeignet, wie die unfrige.
Vor 100 Zahren wurde ein NRivale Hegels um die Palme der absoluten Philosophie,
K. Ch. F. Krause, kriminalistisch verfolgt, weil er die höchst gefährliche Stiftung eines
die Lebewesen aller Himmelskörper umfassenden Menschheitsbundes unternommeen hatte.
Wir brauchen nur an dieses tragikomische Ereignis zu denken, um uns der Freiheit unseres
Koalitionsrechtes mit freubigem Stolze bewußt zu werden. So dürfen wir hoffen, daß
sich die auseinanderstrebenden Tendenzen unseres philosophischen Zeitalters aufeinander
beziehen und miteinander zusammenschließen lassen werden.
Es ist der Fluch der Vereinzelung, daß sie zur Einseitigkeit und Exklusivität führt
und über dem Zch denke und dem görös #pa das Denken und Reden der anderen über-
hört und abweist. Nach Anlage, Entwickelung und Bestimmung erreichen wir in dieser
besten der möglichen Welten nicht als Einzelwesen die Vollendung, wie selbst der Traum
des UÜbermenschentums noch zu erhoffen wagte, sondern in der Gattung, und so repräsen-
tieren wir nur in der vielgliedrigen Körperschaft der Suchenden und Erkennenden und
nicht in einem einzigen, noch so bedeutsamen Teile derselben die Universalität der geistigen
Kultur. Die absolute Philosophie, der jetzt wieder Herz und Sinn sich öffnen, ist nicht
schlechthin bei einem Philosophen, in einem Buche oder an einer Universität zu
finden, sondern das Ergebnis mannigfacher Arbeit vieler Orte und Geister. Sie ist das
große stille Leuchten, das zahlreiche und weit verstreute Flammen ausstrahlen. Wenn die
künstlichen Schirme, durch die sich diese gegeneinander abschließen, fallen, wenn es nicht
mehr darauf ankommen wird, was jede von ihnen zur Erleuchtung beiträgt, dann erft
wird voller Tag werden und das Zentralfeuer der Philosophie, von allen Brennstoffen
des Wissens gespeist, seine Helligkeit und Wärme nach allen Richtungen spenden.
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