Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Dritter Band. (3)

  
X. Buch. Geschichtschreibung und Geschichtsforschung. 33 
  
zeigt diese Arbeitsweise überall. Es erweist sich als notwendig, mit einer Vereinigung 
der Kräfte vorzugehen, wie es denn Sitte geworden ist und sich zweifellos auch bewährt 
hat, die Darstellung großer Zeiträume und umfassender Materien auf eine Mehrzahl 
von Mitarbeitern zu verteilen. Freilich hat die zunehmende Spezialisierung in 
unserer Disziplin wie in allen andern auch ihre Schattenseiten. Der Herausarbeitung 
einer Gesamtauffassung wird sie an sich nicht günstig sein. Allein wir dürfen zum Ruhm 
unserer Wissenschaft hervorheben, daß bei ihren Vertretern trotz der oft scheinbar ins 
minutiöseste Detail sich verlierenden Forschungen doch das Streben, die Zusammenhänge 
der Dinge in ihren innersten Beziehungen zu erfassen, und ebenso die Fähigkeit, große 
Zeiträume zu umspannen, nicht erloschen oder vielmehr von neuem hervorgetreten sind. 
Denn die unmittelbar vorausgehende Generation hat in diesen Beziehungen nicht so 
viel hervorgebracht als die unserige. Von weit greifenden Werken, die der Feder eines 
einzelnen Autors entstammen, nennen wir Eduard Mepers Geschichte des Altertums, 
Haucks Kirchengeschichte Deutschlands, Th. Lindners Weltgeschichte, Dietrich Schäfers 
Deutsche Geschichte und seine Weltgeschichte der Neuzeit. Schäfer hat seine „Deutsche 
Geschichte“ dem Andenken an G. Waitz und H. v. Treitschke gewidmet. Damit werden 
der Charakter der Geschichtswissenschaft unserer Tage und die Anforderungen, die man 
insbesondere auch an die zusammenfassenden Darstellungen stellt, gut umschrieben. Die 
Geschichtswissenschaft hält fest an der zuverlässigen quellenkritischen Forschung, wie sie 
Ranke und unter seinen Schülern vor allem Waitz praktisch gelehrt haben, und verbindet 
damit in Treitschkes Sinn das Aufgeschlossensein für die großen Fragen, die unsere Nation 
bewegen. 
Die Betätigung der Gabe des zusammenfassenden Urteils ist nicht gebunden an die 
ausführliche Darstellung; auch im kleinen Rahmen hat sie die Möglichkeit, sich glänzend zu 
bewähren. Einen Anlaß bot vor wenigen Monaten die rückschauende Betrachtung, die 
zahlreiche deutsche Historiker der Zahrhundertfeier und dem Regierungsjubiläum unseres 
Kaisers gewidmet haben. Es finden sich darunter solche, die dem Ideal der großen Rede 
vollauf entsprechen: ein bedeutender Gegenstand; eine allseitig zutreffende und präzise 
Formulierung des Urteils; die Darstellung ganz ungeschminkt wahr. 
  
1177
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.