X. Buch. I. Die Altertumswissenschaften. 35
Forschung ist die Teilnahme des Kaisers besonders zugute gekommen. Sie hat auch auf
ganz entlegenem Gebiete, in dem spanischen Numantia, eine ergebnisreiche Grabung er-
möglicht. Auch der Abschluß der Aufdeckung der Burg von Hlion wird dieser Hilfe ver-
dankt. Hier führen die Funde in das zweite Jahrtausend v. Ch., dessen Kultur dann
durch die Grabungen anderer Nationen besonders auf Kreta in blendender Pracht und
Fülle ans Licht getreten ist. Diese vorhomerische und vorgriechische Welt wird die Arbeit
der nächsten Generation besonders anziehen, einmal wegen ihres Zusammenhanges mit
dem Orient und Agypten, und dann, weil ihr Gedächtnis in dem griechischen Epos ebenso
dauert wie die VBölkerwanderung in dem deutschen.
Da alle Kulturvölker an dieser Aufdeckungsarbeit teilnehmen, ist die Vermehrung
des monumentalen Materiales ungeheuer, und die Disziplin der Altertumswissenschaft,
die wir Archäologie nennen, hat den stärkfsten Aufschwung genommen. Erst jetzt ist sie
imstande, die Ursprünge der griechischen Kunst, ihre Anleihen beim Orient und #gyp-
ten, ihren selbständigen Aufschwung zu der llassischen Höhe und weiter zu einer Reichs-
und Weltkunft, einheitlich trotz allen landschaftlichen Unterschieden zu verfolgen. Und
schon die Herstellung der einzelnen Monumente fordert unabsehbare Arbeit, der erhal-
tenen und so weit es geht auch der Verlornen: kann doch nun sogar die Geschichte der
Malerei ernsthaft in Angriff genommen werden. Und was besagt es nicht, daß es möglich,
also notwendig ist, den Typus der ganzen Stadt mit Hafen und Befestigung, Nathaus
und Theater, Wasserleitung und Kanalisierung zu erfassen.
Auch schriftliche Denkmäler hat die Erde in Menge gespendet, und die Akademie
bat die Inschriftsammlung seit langem in der Hand. Oie lateinische Sammlung hat
Mommsen noch fast vollendet gesehen; Zuwachs kommt auch bier, doch ist er mur in Afrika
sehr bedeutend, das dank der französischen Lokalforschung die reichste Zllustration des pro-
vinziellen Lebens in der Kaiserzeit liefert. Auf dem griechischen Gebiete hat die Sammlung
mit den Entdeckungen nicht Schritt gehalten, ja sogar ihr Arbeitsgebiet auf Europa be-
schränkt. Dafür strebt sie an, das Stubium der Steine und Urkunden in nächste Fühlung
mit der topographischen, archäologischen und historischen Lokalforschung zu bringen. Die
Steinurkunden sind es, die uns ermöglichen, sowohl in der politischen, wie in der Sprach-
geschichte die Kluft allmählich zu Überbrücken, die in unserer sonstigen berlieferung
zwischen Alexander und Cäsar liegt, und rüstig ist die Wissenschaft am Werke. Auch die
etruskischen Inschriften hat die Akademie in ihre Zut genommen. Vielleicht grade weil
sich hier die Forschung bescheidet, nur die ganz sicheren Schritte zu tun, ist sie doch der Lö-
sung des Etruskerrätsels ein wenig näher gekommen, und jedenfalls ist die Schätzung
des Einflusses, den die Etrusker auf die Kultur und Geschichte der Italiker ausgeübt
baben, stark gestiegen: trägt doch Rom einen etruskischen Namen.
Oie griechische Literatur, namentlich die klassische, hat durch die Reste antiker Bücher,
die in dem Sande Agyptens erhalten sind, einen Zuwachs erhalten, wie ihn auch der
kühnste Traum nicht geahnt hat. Auch hier hat der Staat den Museen die Mittel gewährt,
selbst Papoyri zu suchen; der schönste Fund waren freilich die aramäischen Urkunden der
Zudenschaft von Elephantine, die noch bis hundertfünfzig Jahre älter sind als das älteste
griechische Buch, das bei den Grabungen der deutschen Orientgesellschaft zutage trat.
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