.X. Buch. II. Die orientalischen Wissenschaften. 45
den Universitäten ist geradezu grotesk, für die Türksprachen gibt es überhaupt
keine Universitätsprofessur und die Sprache Zrans schiebt der Semitist gern dem IZndo-
germanisten zu und der Indogermanist dem Semitisten. Um so bewundernswerter ist die
Leistung des iranischen Grundrisses nach der sprach- wie literargeschichtlichen Seite.
Die Pflege des Türkischen — für das Reich eine so einzigartige Aufgabe ! — ist in Deutsch--
land dem Weitblick einiger weniger Semitisten zu danken. Eine „Türkische Bibliothek“
erschließt ein zukunftsreiches Neuland.
Gerade sie weist uns aber auch auf die Realien, und ihre Pflege ist ja ein TCharak-
teristikum der letzten 25 JLahre. Schon die Quellenerschließung steht unter diesem Zeichen.
Der Versuch eines arabischen Catalogus Catalogorum wird kühn gewagt, ein trotz aller
Mängel nicht wieder fortzudenkendes Buch. A#uch die äthiopische Literatur wird von einem
Deutschen erstmalig zusammengefaßt. Die Hauptergebnisse, die wirklichen Fortschritte
der orientalischen Realienforschung liegen auf bistorischem, religionsgeschichtlichem und
archäologischem Gebiet. Das weite Feld deschristlichen Orients muß hier, als zur Kirchen-
oder Kunstgeschichte gehörig, unerörtert bleiben, nur der deutschen Aksumexpedition sei
bier dankbar gedacht, die das Problem der Anfänge des abessinischen Chriftentums
dbefinitid gelöst und überhaupt das Standardwerk über das aksumitische Reich geschaffen
bat. AReben den christlichen Kulturkreis, der um Beachtung nicht zu sorgen brauchte, tritt
immer entschiedener der isla mische.
Durch Urwaldgürtel kirchlicher und philologischer Geschichtskonstruktionen haben uns
hier kühne Forscher, die alle noch leben und deshalb ungenannt bleiben, einen Weg zu
bistorischer Erkenntnis gebahnt. Das arabische Reich erstand. Die ganze islamische Be-
wegung, das Leben Muhammedes, mußten neu gewertet werden. Oie religiöse, sich histo-
risch gebende Überlieferung wurde als Tendenzliteratur erwiesen. Die Erkenntnis von
der Zdealität des islamischen Rechtes trat an die Stelle der alten Auffassung von seiner
praktischen Wirklichkeit. Eine wirkliche Geschichte des Zslam als Religionsform wurde
geschaffen. Religiöse Forderung und Volkssitte wurden zu den Grundpfeilern eines
Verständnisses des modernen Islam. Die bistorische Kontinuität, das Nachleben der
ausgehenden Antike im Islam, wurde außer Frage gestellt. Die Verbindungslinien
zwischen der Gegenwart und der klassischen Zeit des Sslam wurden gezogen. Die Formen
der Gegenwart wurden wissenschaftlich aufgenommen. Mekka wurde eröffnet, und wenn
die Forscher, die hier als Pfadfinder auftraten, auch nicht immer Deutsche waren, so
standen sie doch deutscher Wissenschaft nahe, so haben sie doch zum Teil deutsch geschrieben
und jedenfalls in Deutschland die größte Wirkung erzielt. Auch archäologisch wurde
der Islam erst jetzt richtig in Angriff genommen. Oie islamischen Denkmäler Persiens
wurden ebenso sorgfältig ausgenommen wie Uberreste der Sassanidenzeit. Das
Problem der Genesis der islamischen Kunst, ihre Beziehungen zur christlichen, zur alt-
orientalischen, zur klassisch -antiken, stehen noch zur Debatte. Zn solider Detailarbeit hat
Deutschland soeben die Ruinen der Kalifenresidenz Samarra der Wissenschaft gewonnen.
Die Fassade von Mschatta steht in Berlin, und verwandte Schlösser der ältesten Periode
hat ein österreichischer Reisender entdeckt. Soweit der Islam reicht, überall ist seine
wissenschaftliche Erforschung im Werk. Hierbei sind begreiflicherweise die dem Islam
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