XN. Buch. V. Englische Philologie. 67
preußischen, sächsischen und ausland-deutschen Bestrebungen nicht zu sondern ist; soweit
deutsches Kulturland reicht, ist unser Wissenschaftsbetrieb einheitlich und wird es nach
lokalen Schwankungen immer wieder.
Eine zweite Schwierigkeit, die sich dem Engden enlischlernentgegenstemmt, ist die
Soyntax. Zahlreiche Lehrbücher bemühen sich, ihre Geheimnisse in Regeln oft sehr ver-
wickelter Natur zu fassen. Man braucht als Beispiel nur deren Vorschriften über Präteri-
tum und Perfekt mit dem Gebrauch dieser Zeiten bei einem so anerkannt vorzüglichen
Prosaisten wie R. L. Stevenson zusammenzuhalten, um die Unzulänglichkeit der bisherigen
Regeln klar zu ersehen. Es hat sich daher in den Anglistenkreisen vor kurzem der laute Ruf
nach mehr Syntaz erhoben: das muß zu tieferem Interesse für die Stilkunst neuer und
alter Autoren führen; mancherlei Versuche dieser Art sind schon zu verzeichnen. Der Stil
aber ist wieder der beste Weg weiter zum Verständnis der dichterischen Persönlichkeit,
also zu den edelsten Geheimnissen aller Philologie.
Die Menschen verständigen sich nicht bloß durch Worte; je mehr gemeinsame Kennt-
nisse, Sitten und Empfindungen der eine beim andern voraussetzen kann, desto besser ver-
mögen sie sich gegenseitig zu erraten. Deshalb ist der Sprachunterricht untrennbar von
mmöglichst vielseitigem Studium des Volkes und Landes: das bringt uns auf ein drittes
Gebiet, wo die realistische Umwälzung schließlich doch zum Frommen der Wissenschaft aus-
schlägt. Der junge Anglist — gleich dem Romanisten — interessiert sich jetzt spstematisch
auch für die neueren Schriftsteller, bis herab zu denen der Gegenwart; er fährt über die
Nordsee, um die britische Kultur mit eigenen Augen zu sehen; er geht, lieber als jemals vor-
her, ihren Gründen in der Geschichte nach. Ein Buch ist so entstanden, betitelt „Das mo-
derne England“, das den Gesamtkreis der englischen Philologie, die historische Grammatik
eingerechnet, vom Standpunkt der Realien aus zu erfassen sucht. Solche Umsicht bei der Er-
forschung fremden Volkstums in der Gegenwart kommt sicherlich auch dem Sinn für altes
Dichtungs- und Dichterleben zugute. Was Religion und weltliches Denken in der
Shakespearezeit, was Sage und Sangeskunst weiter zurück bis zur Beowulfperiode
bedeutet haben, ist dabei für den Anglisten immer wissenswerter geworden. In einer
Menge Einzelschriften wurde bereits untersucht, wie Volksballaden entstanden, wie die
Phantasie früherer Erzähler dem Genius Shakespeares vorarbeitete, wie das Lied des
germanischen Spielmanns oder das Närchen der Alltagsmenschen umgegossen wurde
zum Großepos einer schulmäßig gebildeten Dichterschaft. Diese Probleme erfreuen sich
gegenwärtig besonderer Beliebtheit; sie liegen auf der Grenzscheide von Stoff- und
Denkgeschichte; der Mutterwitz und die Weieheit der Vorfahren wird uns dabei
offenbar.
Soviel läßt sich, ohne weiter aufzuzählen, bereits absehen: das englische Studium an
unseren Universitäten wird nach Überwindung der Krise wissenschaftlich gefestigter
dastehen als vorher. Mag zeitweilig die Vollendung großangelegter Buchunternehmungen
bedauerlich stocken — ein wohlunterrichteter Schüler hat manches vor einem Buch voraus:
er ist eine lebendige Potenz, die sich aktio durchsetzen kann, während ein Buch warten muß,
bis man es aufnimmt; er kann sich selbst erklären, während ein Buch der Erklärung
durch andere bedarf; er kann fortschreiten, das Buch veraltet. Uberdies kann man bereits
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