Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Dritter Band. (3)

  
28 · Eisenbahnen, Straßen- und Luftverkehr, Post und Telegraph. VII. Buch. 
  
Billigkeit der Frachten stehen sie hinter den amerikanischen Bahnen und in der Kühnheit 
der Ingenieurbauten hinter den schweizerischen und hinter österreichischen Bahnen zurück. 
Aber was Behaglichkeit des Reisens bei raschen und reichlichen Verbindungen auf 
Haupt- und MNebenlinien, Billigkeit des Personenverkehrs, namentlich für die minder 
leistungsfähigen Schichten der Bevölkerung und für die arbeitenden Klassen, was sorg- 
faltige Anpassung der Gütertarife an die Bedürfnisse des Wirtschaftslebens anlangt, 
was großräumige und vornehme Ausgestaltung der Bahnhofanlagen und würdige Aus- 
führung aller Bahnbauten, was Ordnung, Sicherheit und Pünktlichkeit des Betriebes, 
wohl durchdachten Ausbau der Verwaltungseinrichtungen, Gediegenheit der Wirtschafts- 
führung, wohlwollende Fürsorge für das Personal und unbedingte Verlässigkeit des 
Beamtentums betrifft, dürfte Deutschland wohl von keinem anderen Lande der Erde 
übertroffen werden. 
Der Straßenverkehr. 
Auf der Straße, dem ältesten Gebiet menschlicher Verkehrstätigkeit, haben sich im 
letzten Vierteljahrhundert Umwälzungen von revolutionärer Bedeutung vollzogen. 
Fahrrad und Kraftfahrzeug sind in die Reihe der Hilfsmittel des modernen Verkehrs 
eingetreten. « 
Das Fahrrad. Das Fahrrad ist zwar in seinen wesentlichen Bestandteilen eine 
deutsche Erfindung, aber erst die französische und englische Industrie 
hat es zum praktisch brauchbaren Verkehrsmittel ausgebildet. Nachdem die englische 
Industrie gegen das Ende der 1880 er Jahre an die Stelle des Hochrades das Niederrad 
gesetzt und der englische Tierarzt Dunlop die pneumatische Bereifung erfunden hatten, 
konnte sich das Fahrrad die Welt erobern. 
England konnte seine Alleinherrschaft in der Fahrradindustrie nicht behaupten. 
Heute erzeugt Deutschland nicht nur seinen Bedarf an Fahrrädern im wesentlichen 
selbst, sondern es führt auch Fahrräder im Werte von 6½ Millionen Mark im Jahre aus. 
Anfangs fast nur zu Sport- und Vergnügungszwecken benutzt, ist das Fahrrad längst 
zu einem unentbehrlichen Verkehrswerkzeug für die breitesten Schichten des Volkes ge- 
worden. Es dient dem Arbeiter und Angestellten im Verkehr zwischen Wohn- und A#r- 
beitsstätte, Handwerksleute, Arzte, Polizei und Feuerwehr bedienen sich seiner, auch im 
kleinen Warenverkehr hat es sich einen Platz gesichert, die Postverwaltung macht in der 
Telegrammzustellung, Briefkastenleerung und sonst vom Fahrrad Gebrauch. 
ODie staatliche Aufsichtstätigkeit konnte an dem neuen Verkehrsmittel nicht vorüber-- 
gehen. In der ersten Zeit nahmen die einzelnen Bundesstatten je für sich die polizeiliche 
Regelung des Fahrradverkehrs vor. Aus der Ungleichheit ihrer Vorschriften ergaben sich 
indessen Unzuträglichkeiten, die 1907 zur Feststellung einheitlicher Grundsätze, be- 
treffend den Radfahrverkehr, durch den Bundesrat führten. 
Das Fahrrad wurde anfangs vielfach besteuert. Seitdem es zum allgemeinen Ver- 
kehrsmittel des Bolkes wurde, ist die Steuer in den meisten Bundesstaaten beseitigt worden. 
  
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