88 Mathematik. X. Buch.
Durchschlagend wirkten aber die Arbeiten von O. Hil--
bert über die Grundlagen der Geometrie, unter ihnen
in erster Linie die als Teil einer Festschrift zur Feier
der Enthüllung des Gauß-Weber-Denkmals in Göttingen (1899) erschienene Abhand-
lung „Grundlagen der Geometrie“ (5. Aufl. 1909). In ihr und in mehreren späteren
Artikeln legte der Verfasser klar und in logischer Schärfe die Genesis der mathematischen
Begriffsbildungen auseinander. Zn dem Vortrage „Uber die Grundlagen der Logik
und der Arithmetik“ unterscheidet Hilbert die dogmatische, die empiristische, die oppor-
tunistische, die transzendentale und die axiomatische Methode. Die letztere hält er allein
für geeignet zu einer strengen und befriedigenden Begründung des Zahlbegriffes. Nach
ihr verfährt er auch bei der Entwicklung der Grundlagen der Geometrie, und diese Methode
ist dann in anderen Gebieten der Mathematik von verschiedenen Forschern zugrunde
gelegt worden. In dem zweiten Bande der Enzpklopädie der Elementar-Mathematik
sagt J. Wellstein: „Das Verdienst des Hilbertschen Buches besteht in der klaren er-
kenntnistheoretischen Grundauffassung, in der scharfen Problemstellung und in den
arithmetisch-geometrischen Methoden. Es ist leicht zugänglich, hat durch seine Methoden
anregend gewirkt und wird voraussichtlich noch weiter wirken.“ Die lange Reihe von
Schriften, die an diese Veröffentlichung anknüpfen, bekundet die Richtigkeit dieser Be-
merkung. Forscher wie H. Poincaré („Wissenschaft und Hypothese") und F. Enriques
(„Probleme der Wissenschaft") haben sich mit ihr auseinandersetzen müssen, und die Er-
kenntnistheorie hat durch diese mathematischen Uberlegungen manche Aufklärung erhalten.
Hilbert's „Grundlagen
der Geometrie“.
Lichteuklidische Geometrie. Neben den verschiedenen Arten der schon früher
unter dem Namen „nichteuklidisch“" behandelten
Geometrien, deren Berechtigung durch die eben berührten Untersuchungen von neuem
nachgewiesen wurde, sind infolge der vertieften Einsicht nun auch noch andere Geo-
metrien ausführlich behandelt worden, bei denen eins der zum Aufbau der euklidischen
Geometrie als notwendig erkannten Ariome fortgelassen wird: die nichtarchimedische
Geometrie, die nichtpascalsche Geometrie usw.
Als Werk von hoher prinzipieller Bedeutung sind die „Grundlagen der Geometrie“
von F. Schur (1909) zu bezeichnen. „Vorbereitet durch Pasch, Veronese und Peano,
hat seit Hilberts Grundlagen der Geometrie das Interesse für Untersuchungen über
die Ariome der Geometrie so mannigfache Veröffentlichungen bierüber hervorgerufen,
daß deren spstematische Darstellung wohl gerechtfertigt sein mag. Erstens wird mehr als
bisher eine axiomatische Begründung auch der nichteuklidischen Geometrie gegeben, und
zweitens wird besondere Aufmerksamkeit der Tragweite der neu einzuführenden Arxiome
gewidmet.“
Kritik von E. Study. Von reinigender Kraft in bezug auf Präzision versprechen
die Schriften des Kritikers zar 5oeiF# E. Studp zu wirken.
„Soweit unsere geometrische Produktion überhaupt Anspruch auf ernsthafte Würdigung
hat, ist sie vorwiegend Raubbau. Die Erfolge Steiners und anderer mehr oder
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