52 Wasserstraßen und Binnenschiffahrt. VII. Buch.
hunderts die Oberhand gewonnen und zu einer Stockung im Ausbau der deutschen
Wasserstraßen Anlaß gegeben; die Neigung zur Bewilligung von Mitteln für solche
Zwecke war bei Regierungen und Volksvertretungen stark geschwunden.
In den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts hatte sich allerdings ein gewisser
Umschwung angebahnt und das Interesse für Wasserstraßen eine neue Belebung er-
fahren. Insbesondere wurden in Preußen 1879 für den Ausbau der märkischen Wasser-
straßen, 1886 für den Bau des Dortmund-Emskanals und 1888 für die Kanalisierung
der Oder und Spree Mittel bewilligt, während im Reiche 1886 der Bau des Nordostsee-
kanals, hauptsächlich aus militärischen Gründen, beschlossen wurde.
Grundsätzliche Anerkennung. Aber die grundsätzliche Anerkennung der
Wasserstraßen als eines gleichberech-
tigten Faktors im Sypstem der Verkehrsanstalten, der Entschluß zum planmäßigen
Ausbau eines preußisch-deutschen Wasserstraßennetzes, die Bereitstellung sehr großer
öffentlicher Mittel durch Staaten und Gemeinden für den Ausbau von Strömen,
Kanälen und Häfen, die Steigerung des allgemeinen Interesses für Schiffahrtsfragen
auf einen bisher nicht bekannten Grad — diese Entwickelung ist erst in der Regierungs-
zeit Kaiser Wilhelms II. eingetreten. Sie wurde ermöglicht durch das entschiedene Ein-
treten der Krone und der Regierung in Preußen, die in zahlreichen Vorlagen an den
Landtag und bei sonstigen Anlässen die Notwendigkeit des Ausbaues der Wasserstraßen
geltend machten. In besonders eindringlicher Form geschah das in den Landtagsthron-
reden vom 16. Januar 1899, 9. Januar 1900, 8. Zanuar 1901, 8. Zanuar 1902 und 16. Za-
nuar 1904, sowie in kaiserlichen Reden bei der Eröffnung des Dortmund-Emskanals am
11. August 1899 und des Elbe-Travekanals am 16. Zuni 1900. Die Thronrede von 1902
enthält die programmatische Erklärung, daß die Regierung „die Ausgestaltung unserer
wasserwirtschaftlichen Verhältnisse im Interesse der Landeskultur und des Verkehrs fort-
dauernd als ein dringendes Bedürfnis für alle Teile unseres Vaterlandes erachtet“".
Eisenbahnen und Der innere Grund für das Wiedererwachen des öffentlichen
Wasserstraßen. Interesses an den Wasserstraßen und für deren nachdrückliche
Förderung durch maßgebende Kreise lag im wesentlichen
darin, daß die Ansichten über das Verhältnis zwischen Eisenbahnen und
Wasserstraßen inzwischen sich geändert hatten. Man hatte erkannt, daß nur die
unzulängliche Beschaffenheit älterer, vor dem Eisenbahnzeitalter gebauter Wasser-
straßen, insbesondere ihre ungenügende Breite und Tiefe, das teilweise Erliegen der
Binnenschiffahrt gegenüber dem Wettbewerbe der Schienenwege herbeigeführt habe,
daß aber Wasserfrachten mit entsprechend großen Abmessungen und sonstigen vollkom-
meneren Einrichtungen diesen Wettbewerb sehr wohl bestehen, das heißt: dem Verkehr
billigere Frachtsätze zur Verfügung stellen könnten. Die AUnterbietung der Eisenbahn-
frachten durch die Wasserfrachten wird dadurch ermöglicht, daß die Selbstkosten der Güter-
beförderung — für den Personenverkehr spielt jenes Wettbewerbsverhältnis keine Rolle
— auf Schiffahrtswegen niedriger sein können als auf Schienenstraßen, und diese Er-
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