X. Buch. Physikalische Chemie. 185
lichen thermischen Daten zu erschließen, aus der Wärmetönung des chemischen Prozesses
und den spezifischen Wärmen der Reaktionsstoffe. Die auf Grund dieses Theorems
gemachten Berechnungen stimmen mit der Erfahrung wohl überein, selbst bei Einführung
von Näherungswerten, wie es die mangelhafte Kenntnis der spezifischen Wärmen in man-
chen Fällen vorläufig noch nötig macht.
Durch dieses Theorem von weittragendster Bedeutung für die künftige Forschung
erscheint die quantitative Beziehung zwischen Wärmetönung und freier Energie chemischer
Prozesse, die das frühere Berthelotsche „Prinzip der mazximalen Arbeit“ nur un-
befriedigend darzustellen vermochte, endgültig aufgehellt.
Eine Reihe von Gebieten der phypsikalischen Chemie konnte im vorstehenden nicht
berührt werden, eine große Zahl von Arbeiten ausgezeichneter Forscher erfuhr nicht die
gebührende Würdigung oder mußte sogar ganz unerwähnt bleiben. Die Gründe hierfür
sind eingangs auseinandergesetzt. Aber trotzdem können die kurzen Darlegungen dem
Fernerstehenden vielleicht gewisse Einblicke vermitteln, wenn nicht in den ganzen Umfang
des Gebietes, so doch wenigstens in seine Eigenart, seinen Forschungsstoff, seine Arbeits-
weise und die Richtlinien, nach denen diese Arbeit im letzten Vierteljahrhundert in der
Hauptsache sich vollzogen hat. Dann hätte diese Zusammenstellung, bei aller Lückenhaftig-
keit, die Absichten des Buches immerhin einigermaßen erfüllt.
Nur eine Bemerkung noch über Stellung und Bedeutung der physikalischen
Chemie in der Neuzeit mag zum Schlusse nicht unterdrückt werden. Man hat ihr For-
schungsgebiet vielfach als das Grenzgebiet zwischen Physik und Chemie bezeichnet. Diese
Bezeichnung hatte früher vielleicht eine gewisse Berechtigung, nicht mehr aber, seitdem
die moderne Entwicklung der physikalischen Themie voll eingesetzt hat. Seit dieser Zeit,
beginnend etwa mit dem Anfang der Berichtsperiode, entwickelte sich die phpsikalische
Chemie aus einem abseits liegenden Sondergebiet, das der Chemiker pflegen oder auch
mehr oder weniger unberücksichtigt lassen konnte, mehr und mehr zur allgemeinen
Chemie. Ihre Grundsätze und Anschauungen drangen, langsam zwar, doch stetig und
sicher, in die verschiedensten Zweige der Chemie ein, die Fülle der Erscheinungen unter
allgemeine Gesichtspunkte ordnen lassend, die Forschungen selbst anregend, stützend und
befruchtend. Und so wird in zukünftiger Weiterentwicklung diese allgemeine Chemie
sich allmählich immer mehr ausbilden zur einheitlichen Grundlage, aus der die zahl-
reichen Zweige der Chemie herauswachsen, anderseits auch zum gemeinsamen Bande,
das die naturgemäß auseinanderstrebenden Sonderzweige fest miteinander zum einheit-
lichen Ganzen der chemischen Wissenschaft verknüpft.
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