X. Buch. Oie soziale Medizin und soziale Hygiene. 279
bringung von unheilbaren Fällen in entsprechenden Krankenanstalten. Eine große Zahl
derartiger Einrichtungen ist teilweise durch die Versicherungsanstalten, teilweise durch
Vorgehen von Privaten (v. Bodelschwingh), Genossenschaften und Städten ent-
standen. Indessen erwies es sich unmöglich alle Tuberkulösen aus der Familie zu ent-
fernen und in entsprechenden Krankenhäusern oder Krankenabteilungen unterzubringen.
Ausgehend von Erfahrungen in Grabowsee gründete deshalb der Vaterländische Frauen-
verein in Charlottenburg im Jahre 1902 eine Ermittelungs-, Beratungs- und Unterstüt-
zungsstelle für Lungenkranke mit dem Namen „Lungenkrankenfürsorge vom Roten
Kreuz.“
Errichtung von Wohlfahrtsstellen. Diese Bestrebungen fanden eine erfreu-
liche Unterstützung durch einen Erlaß des
preußischen Kultusministeriums, welches die Errichtung von Wohlfahrtsstellen für
Lungenkranke unter Betonung der in Betracht kommenden Gesichtspunkte empfahl. Bis
jetzt sind in Deutschland etwa 1500 derartige Fürsorgestellen eingerichtet, wobei die
Sorge für eine gesunde und sonnige Wohnung, für entsprechende Ernährung, weiterhin
der Schutz der Familie gegen Ubertragung der Krankheit in den Vordergrund gestellt
wurden. In der regelmäßigen häuslichen Kontrolle sind eine oder mehrere Fürsorge-
schwestern tätig, welche unter Aufsicht eines Arztes handeln, der auch als Berater der
Kranken in Tätigkeit tritt. Die eigentliche Behandlung verbleibt im allgemeinen dem
Hausarzt. Mit diesen Fürsorgestellen sind vielfach Tageserholungsstätten mit Liegehallen
verbunden.
In neuerer Zeit ist auch der Versuch gemacht, Tuberkulöse in landwirtschaftlichen
Kolonien zu beschäftigen und Kinder mit tuberkulösen Drüsen ohne Auswurf und Eite-
rung in bäuerlichen Familien mit guter ländlicher Ernährung bei reichem Genuß von
frischer Lust unterzubringen. Weiterhin wurden nach einem Vorschlag von Dr. Becher
und unter Mitwirkung des Roten Kreuzes (Dr. Pannwitz, Prinzessin Hohenlohe,
Exzellenz Studt) Walderholungsstätten ins Leben gerufen, in welchen die Kranken
den Tag an frischer Luft verbringen. Bereinzelt wurden mit diesen Walderholungs-
stätten auch Liegehallen zum Schlafen verknüpft. Für Kinder wurde auch die Bedeutung
von Seeluft, Seebädern, Solbädern zur Ausheilung tuberkulöser Erkrankungen und zur
Kräftigung des Körpers erneut betont. Eine große Anzahl von Kinderheilstätten ist zur
Erreichung dieses Zieles erstanden.
Daß auch die von NK. Koch zuerst versuchte und vielfach bekämpfte spezifische Therapie
der Tuberkulose bei erneuter und vorsichtiger Anwendung größere Erfolge aufzuweisen
hat, sei hier nur kurz erwähnt.
Auch die Hauttuberkulose (fressende Flechte) ist in den letzten Jahren in das
Bereich der Tuberkulosebekämpfung einbezogen worden. Doch sind die Versuche noch
zu neu, um schon wesentliche Resultate erhoffen zu lassen.
So sehen wir eine große Zahl von Kräften zusammenwirken die verheerende Volks-
seuche zu bekämpfen. Ein deutlicher Erfolg dieses Kampfes der letzten Fahrzehnte ist
schon heute sichtbar. Die Tuberkulosesterblichkeit ist im Königreich Preußen von 28,2
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