XN. Buch. Veterinärmedizin. 297
über diesen Zuständen bedeutet die Einführung einheitlicher Grundsätze für den Handel
mit Nutz- und Schlachtvieh im ganzen Deutschen Reiche sicherlich einen bedeutsamen
Fortschritt, wenn auch die Regelung auf deutsch-rechtlicher Grundlage den Ansichten
der tierärztlichen Sachverständigen auf diesem Gebiete nicht entsprochen hat. Die Zu-
kunft muß lehren, ob es gelingen wird, die Härten der zur Zeit gültigen gesetzlichen Be-
stimmungen durch Ausbau und Ergänzung der durch Kaiserliche Verordnung festgesetzten
Hauptmängelliste zu mildern.
Tierärztliche Lehr- und Der gewaltige Aufschwung der Veterinärmedizin, von
Forschungsanstalten. dem soeben in gedrängter Kürze eine Ubersicht ge-
geben wurde, wäre nicht möglich gewesen, wenn sich
nicht zugleich auch tiefgreifende Anderungen im gesamten tierärztlichen Bildungswesen
vollzogen hätten, die ihrerseits wiederum eine völlige Umgestaltung der deutschen
tierärztlichen Lehr- und Forschungsanstalten in den letzten 25 Jahren herbei-
geführt haben. Wenn auch der erste Anstoß zu dieser Entwicklung bereits im Jahre 1879
mit Einführung der Primareife als Vorbildung, Festsetzung eines siebensemestrigen Fach-
studiums und Neuregelung des Prüfungswesens nach dem Vorbilde der ärztlichen Prü-
fungsordnung gegeben wurde, so hat es doch noch länger als zwei Jahrzehnte gedauert, bis
endlich durch Einführung des Abiturientenexamens als Vorbedingung für die Zulassung
zum Studium der Veterinärmedizin vom 1. April 1903 ab auch in dieser Hinsicht
das tierärztliche Studium dem ärztlichen gleichgestellt wurde. Zwar haben die einzel-
nen Bundesstaaten, dem Vorbilde Preußens folgend, bereits Ende der achtziger Jahre
ihre Tierarzneischulen zu „Tierärztlichen Hochschulen“ erhoben und hierdurch wenigstens
äußerlich den übrigen Fachhochschulen gleichgestellt, aber vor dem entscheidenden Schritte,
zugleich auch die Vorbildung für das tierärztliche Studium zu erhöhen, schreckte man damals
noch zurück aus Furcht, daß es den tierärztlichen Bildungsanstalten alsdann an Studieren--
den und in Zukunft dem Lande an Tierärzten fehlen würde. Es ist ein unvergängliches
Verdienst des damaligen Prinzen Ludwig von Bayern, durch tatkräftiges Eintreten für
die Forderung der Tierärzte im baprischen Landwirtschaftsrate kurz vor Neujahr 1900
diese wichtige Angelegenheit wieder in Fluß gebracht zu haben, die nach Uberwindung er-
heblicher Schwierigkeiten endlich im Zuli 1902 durch Festsetzung der Maturität als Vor-
bedingung für das tierärztliche Studium ihren befriedigenden Abschluß fand. Daß die
Bedenken, die man früher gegen die Einführung der vollen Universitätsreife geltend
gemacht hat, nicht stichhaltig waren, hat sich schon wenige Zahre nach dem Inkrafttreten
der neuen Bestimmungen gezeigt, denn der Zudrang zum tierärztlichen Studium hat
nach kaum zweijähriger Ubergangszeit andauernd in solchem Maße zugenommen, daß
gegenwärtig bereits die drohende Uberfüllung des tierärztlichen Berufes sowie die Mittel
und Wege zu ihrer Abwehr ernstlich erörtert werden. Hieran dürfte auch die in diesem
Jahre nach langwierigen Verhandlungen gleichsam als Abschluß des gesamten Reform--
werkes zur Einführung gelangte neue Prüfungsordnung für Tierärzte, die als wesent-
liche Anderung eine Verlängerung der Studienzeit von 7 auf 8 Semester vorsieht, kaum
etwas ändern.
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