Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Vierter Band. (4)

  
322 Oie landwirtschaftlichen Wissenschaften. X. Buch. 
  
III. Die Tierzucht 
Von Professor Dr. S. von Nathusius k, Halle a. S. 
Die Tierzucht hat im allgemeinen Aufschwunge der deutschen Landwirtschaft 
durchaus mit den übrigen Betriebszweigen Schritt gehalten, obwohl nicht zu verkennen 
ist, daß die Entwickelung der neuzeitlichen Wirtschaft in vieler Beziehung nicht nur för- 
dernd, sondern häufig geradezu hindernd für sie gewesen ist. Es darf da nur erinnert 
werden an die riesige Zunahme des künstlichen Düngemittel-Verbrauchs, sowie des 
Gründüngungsanbaues, ferner an die Massenerzeugung von wasserhaltigen Futter- 
mitteln (Rübenschnitzel, Rübenblätter, Schlempe), die unzweifelhaft ungünstig auf die 
Widerstandsfähigkeit des tierischen Körpers wirken. 
DHie Pferdezucht. Wenn von diesen und ähnlichen Einflüssen die Pferdezucht 
am wenigsten berührt werden konnte, so hat sie wieder mit 
besonderen Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt. Sie hat sich in ihrer Zuchtrichtung 
in überwiegendem Maße nach den Bedürfnissen der Landwirtschaft zu richten, da 
nur die Pferdezucht dauernd erfolgreich arbeiten kann, in der die Zuchtstute voll den 
Anforderungen der Wirtschaft an ein Arbeitspferd gerecht wird. In den vergangenen 
25 Zahren hat nun die Intensivierung unserer Betriebe weitere große Fortschritte ge- 
macht, und damit ist ein stark vermehrter Gebrauch von schweren sog. Schrittpferden 
eingetreten. Dadurch hat vielfach eine ganz neue Zuchtrichtung einsetzen müssen. 
Leider wird die unabänderliche Folgerichtigkeit dieser Entwickelung nicht allgemein 
anerkannt und noch immer werden Versuche gemacht, die natürliche Entwickelung der 
Pferdezucht zu beeinflussen und die Edelzucht künstlich zu erhalten. Es ist selbstver- 
ständlich, daß es gerade für ein Land wie Deutschland von größter Bedeutung ist, im 
Unteresse der Wehrfähigkeit eine blühende Laufpferdezucht zu erhalten. Daß hierfür 
bedeutende Mittel aufgebracht werden müssen, ist klar und das einzig wirklich wirksame 
Mittel liegt auf diesem Gebiete. Ganz besonders müssen die Remontepreise weiter 
steigen. Denn auf die Dauer ist die Rentabilität der einzig maßgebende Wertmesser 
eines landwirtschaftlichen Betriebszweiges, auch der Pferdezucht. Man kann wohl eine 
Schrittpferdezucht in der Landespferdezucht verhindern, eine Laufpferdezucht erhalten 
kann man aber nur, wenn man sie rentabel macht. 
So darf es nicht verwunderlich erscheinen, wenn die Kaltblutzucht mit verschwin- 
denden Ausnahmen in alle Landesteile Deutschlands Eingang gefunden hat und, daß sie 
mit der weiteren Intensivierung der Landwirtschaft immer weiter sich ausdehnen wird. 
Man soll die Größe dieser Gefahr für die Remontierung nicht unterschätzen, aber auch 
nicht ihre Unabwendbarkeit. Sie kann nur durch Aufwendung großer Summen ge- 
mildert werden. 
Zn einer Zeit, die das deutsche Bolk so opferfreudig sieht, sollte man sich nicht scheuen, 
für 20 000 Remonten jährlich eine nicht zu unbedeutende Preiserhöhung als selbst- 
verständlich anzusehen. Ein erstklassiges schweres Arbeitspferd kostete vor 25 Jahren 
  
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