X. Buch. Astronomie, Astrophysik, Geodäsie. 117
deutliche Veränderungen der Lage des Himmelspoles gegen den Scheitelpunkt nach-
gewiesen, und diese Veränderungen hatten die Aufmerksamkeit aller Astronomen und
Geodäten wieder besonders lebhaft auf die Fragen der Beständigkeit der Bewegung
und Gestaltung der Erde, insbesondere auch auf die Frage der Veränderlichkeit der geo-
graphischen Breiten gerichtet.
Schon vor der Mitte des Zahrhunderts waren feinste Messungsreihen an mehreren
Sternwarten veranstaltet worden, um das Vorhandensein einer solchen Veränderlichkeit
zu prüfen, aber die Ergebnisse waren fast ganz negativ ausgefallen, hauptsächlich infolge
einer theoretischen Annahme, die gerade für den Fall einer Veränderlichkeit von Bewe-
gungs- und Gestaltungszuständen der Erde nicht genau zutraf, aber in der Tat damals
die nächstliegende Hypothese bilbete. Man machte nämlich anfangs die Annahme, daß,
wenn die geographischen Breiten sich durch bloße Lagenänderungen der Drehungsaachse
im Erdkörper änderten, dies in Perioden von nahezu zehn Monaten stattfinden müsse,
wogegen der späterhin sich ergebende wahre Sachverhalt wegen der nicht vollkommenen
„Starrheit“ des ganzen großen Erdkörpers eine Periode von etwas mehr als vierzehn
Monaten statt jener zehn Monate bedingen mußte. Uberdies hat sich weiterhin noch er-
geben, daß die Amplitüde der Lagenveränderungen der Drehungsachse im Erdkörper sich
in längeren Perioden nicht unerheblich ändert, so daß bei manchen von den früheren Be-
obachtungsreihen in der Tat die Breitenänderungen unterhalb der Grenzen damaliger
feinster Wahrnehmungen verlaufen waren.
Der Sachverhalt einer deutlichen Veränderlichkeit der geographischen Breite, den
die Küstnerschen Beobachtungen nun wirklich erwiesen hatten, wurde dann sehr bald
auch von anderen Sternwarten bestätigt, und die Organe der internationalen Erdmes-
sung, ihnen voran natürlich das geodätische Institut und Zentralbureau in Potsdam,
halfen alsbald für das ganze Problem der Lagenveränderungen der Drehungsachse experi-
mentell und theoretisch eine umfassende gemeinsame Bearbeitung organisieren. So wurde
auch eine Expedition nach Honolulu im Großen Ozean gesandt, durch welche nahezu ein
Jahr lang, korrespondierend mit den Beobachtungen in Berlin und Potsdam, die geo-
graphische Breite unablässig beobachtet und genau die entgegengesetzte Veränderung
von derjenigen, die in Mitteleuropa stattfand, konstatiert wurde, was ja nur durch die
Lagenänderung der Erdachse erklärt werden konnte. —
Unter der Führung von Pots-
dam ist alsdann eine internationale
Organisation großen Stiles zur unablässigen Bewachung der Lage der Erdachse ge-
schaffen worden und bereits vor dem Ende des Jahrhunderts in volle Tätigkeit getreten.
Oiese Organisation umfaßt jetzt sechs auf einem und demselben Parallelkreise in 39 Grad
geographischer Breite liegende Beobachtungsstationen auf der nördlichen Erd-Haldkugel,
nämlich drei nordamerikanische, in Kalifornien, Ohio, Pennsylvanien und drei in
Europa und Asen gelegene, nämlich in #Italien, in Mittelasien und in Japan. Zu-
gleich arbeiten auf der südlichen Halbkugel jetzt drei Stationen in nahezu überein-
stimmender geographischer Breite, nämlich in Australien, Süd-Afrika und Süd-Amerika.
Die Bewachung der Lage der Erdachse.
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