Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Vierter Band. (4)

  
48 Malerei und Plastik. XlI. Buch. 
  
bei dieser Art der Wiedergabe das vibrierende Leben des unmittelbar Empfundenen 
erhalten bleibt, daß die künstlerische Znterpretation sicherer vor dem Erstarren bewahrt 
wird. Ein Verlust an feinerer Formgebung konnte auf der anderen Seite insofern ein- 
treten, als das Freilicht die zarteren Abstufungen der Töne in der großen Helligkeit 
nicht genügend zur Wahrnehmung gelangen ließ. A#uch die Kraft der Farbe litt unter 
ihr. Die hellen kreidigen Bilder „hungerten“ diese aus. Bald nach dem Alufstreben 
der lichtbringenden Hellmalerei sahen die Künstler dies auch ein. Wollte man das er- 
sehnte Ziel, das Sonnenlicht in all seiner strahlenden farbigen Helligkeit auf die Leine- 
wand zu bannen, erreichen, so mußte eine Veränderung in der Technik dahin vorge- 
nommen werden, daß hell und dunkel wieder in einen Kontrast gebracht wurden. Dies 
versuchte der sogenannte Neoimpressionismus, der damit aber bei allem gutgemeinten 
Streben einen Schritt weiter in das Artistische hineintat; denn man erwarb sich im Grunde 
nichts als ein technisches Ausdruckemittel, jedoch keine künstlerische Handschrift. Die 
Naturwissenschaft kam den Malern bei ihrem Kampf um Licht und Farbe mit der seit 
1860 ständig verfeinerten Spektralanalpse zu Hilfe. Die Farbenlehre hatte aus ihr die 
Erkenntnis gezogen, daß das Nebeneinander der reinen Farbwerte ein stärkeres Licht 
gibt, als das Ubereinanderlegen und das Ineinandermischen der Farbenkörper. Sobald 
man die reinen Pigmente nebeneinander legte, malte man mit Licht, während man 
vorher mit „Farben“ gearbeitet hatte. Mit all diesem stand die neue Eindruckmalerei 
unstreitig auf dem Boden ihrer Zeit, die so vorwiegend praktischen Zielen zustrebte, 
daß sogar die Universitäten von den technischen Hochschulen zurückgedrängt schienen. 
Die einem bestimmten Zweckbedürfnis zugewandte Arbeit besiegte das voraussetzungs- 
lose Forschen. Zn solchem Hinblick war demnach der Impressionismus durchaus be- 
rechtigt. Ein Gut hat er zudem unbedingt allen, selbst seinen Widersachern gebracht, 
ein verfeinertes Wahrnehmungsvermögen für das farbige Licht, für die durchleuchtete 
Atmosphäre, für die Einheit der Tonwirkung, und mit alledem eine erstaunliche Raum- 
kraft. In Norddeutschland wurde der Impressionismus reichlich scharfsinnig -doktrinär, 
in Süddeutschland gemütvoller aufgefaßt. Hier erhielt die neuzeitliche Auffassung auch 
zuerst Bürgerrecht. Im Jahre 1888, also vor 25 Zahren, öffneten sich ihr die Pforten 
des Glaspalastes. 
Uberall wurde von den Gegnern der Vorwurf erhoben, daß die als fertig angebotenen 
Bilder im Grunde nur Skizzen seien. Die Eindruckmaler wollten sich aber auf „Aus- 
führung“ nicht einlassen, da sie um die Frische der malerischen Wirkung bangten. Sie 
konnten sich auf die alte Tatsache berufen, daß gar zu oft aus geistreichen und leben- 
sprühenden Entwürfen langweilige, tote Bilder geworden seien. A#llerdings mißlang 
auch den Impressionisten oft die unleugbare Absicht, durch innere Einheit das Bild über 
die Studie zu erheben. 
Graphil. Wie tief aber dies ehrliche und leidenschaftliche Ringen um das leben- 
schenkende tonreiche Licht wurzelte, beweisen eine Reihe von Begleit- 
erscheinungen, so fand vor 25 Jahren, im Jahre 1888, die erste große Ausstellung von 
Aquarellen, Pastellgemälden und Handzeichnungen (in Dresden) statt. Diese drei Techniken 
1580
	        
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