74 Das Kunstgewerbe. XI. Buch.
bestimmend sind. Die Bewegung hörte auf, ein bloßer Sport zu sein und begann im
wirtschaftlichen Leben eine wertvolle Rolle zu spielen. Hier war ja die Verbesserung
der Qualität dasjenige Moment, das in dem Ringen um die Beherrschung des Marktes
allein eine Aussicht auf Erfolg gewährleistete. Der Bewegung eröffnete sich also ein
neues und bedeutendes Arbeitsfeld, und es wurde möglich, sie auf eine reale Basis zu
stellen, so daß sie für alle Beteiligten fruchtbringend werden mußte.
Schon die verschiedenen Werk-
stätten, die mit Künstlern zu-
sammen arbeiteten, hatten sich bestrebt, qualitativ ##ervorragendes zu leisten, wobei ihnen
das gute Niveau zustatten kam, auf dem sich einzelne Zweige des Handwerks trotz der
geschmacklichen Unkultur erhalten hatten. Mit dem neuen Programm wurde das Kunst-
gewerbe jedoch Mitarbeiter der Industrie und beschränkte sich nicht mehr auf die
Gegenstände, die mehr oder weniger dem Luxus dienten und auf deren Herstellung
man von jeher besondere Sorgfalt verwendet hatte. Es ging dazu über, auch solchen
Gegenständen eine schöne Form zu geben, die ausschließlich praktischen Zwecken
dienen sollten und teilweise auf rein maschinellem Wege hergestellt wurden.
Die Industrie selbst ergriff die Initiative, indem sie bei der Herstellung ihrer
Erzeugnisse hervorragende Künstler zu. Rate zog. Das Verhältnis zwischen Künstler
und Ausführendem bekam aber dadurch gegen früher ein ganz verändertes Aussehen.
Der Künstler war jetzt nicht mehr der Souverän, der die Technik unter seinen Willen beugte
und seiner Laune freies Spiel lassen konnte. Er mußte, wollte er anders seine Stellung
im wirtschaftlichen Leben behaupten, sich von der Technik anstellen und die Bedingungen
diktieren lassen, nach denen er seine Zdeen zu formulieren hatte. Es war eine bedeutsame
Tat, daß die Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft einen Mann wie Peter Behrens nach
Berlin berief und ihn mit der künstlerischen Ausgestaltung ihrer Erzeugnisse beauftragte.
Die Leistungen, die hierdurch entstanden, bilden vielleicht die treffendste Zllustration
zu der Umwandlung, der sich das Kunstgewerbe unterzogen hatte. Sie bieten gleich-
zeitig ein Beispiel, wie es nicht larer gegeben werden kann für die Veränderung, die
der heutige Begriff Kunstgewerbe gegenüber dem Kunstgewerbe des 19. Jahrhunderts
erfahren hat.
Vom Luzus-Segenstand zur Fabrikware.
Heutscher Werkbund. öm ** isnöt J —— Oran-
ung des Deutschen Werkbundes. Es war das
Münchner Ausstellung 1908. eine Organisation, die den Zweck hatte, den Ge-
danken der Qualität in Herstellung und Geschmack zu propagieren und die Fühlung
zwischen Künstlern und Industriellen zu vermitteln.
Im gleichen Jahre hatte in München eine Ausstellung stattgefunden, die ganz und
gar von diesen Gedanken geleitet war und in technischer wie in geschmacklicher Hinsicht
das Beste bot, was man bis dahin überhaupt gesehen hatte. Die Ausstellung war eine
ausschließliche Tat Münchener Künstler, die damit nicht nur eine deutliche Absage an die
bisherige falsche formalistische Richtung erteilten, sondern auch, da gerade sie den Boden
1606