Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Vierter Band. (4)

  
s Das öffentliche Leben. XII. Buch. 
  
fallen ist, steckt aber auch die leise Erkenntnis, daß es mit der schrankenlosen Demokratie 
doch nicht geht, sondern daß sie ergänzt werden muß durch differenzierte Persönlich- 
keiten, durch Männer, die um Haupteslänge über die anderen hervorragen, durch In- 
dividuen, die anders und mehr sind als die Masse und die Menge der Bielen und Viel- 
zuvielen. Von dem frenetischen Beifall, der heute die Dirigenten der Konzerte umbraust, 
bis zu dem Zubel, der sich beim Anblick des greisen Grafen Zeppelin erhebt, oder bis 
zu der Trauer, mit der die Millionen sozialdemokratischer Arbeiter den Tod Bebels 
begleitet haben, überall zeigt sich dieser Zug, dieses Verlangen und Sehnen nach 
Führern und nach Führung, der man sich unterwerfen will, weil es mit der Herrschaft 
der Masse und des Demos allein nicht getan ist und auf keinem Gebiete dadurch Großes 
geschaffen und erreicht werden kann. Ohne ein Organisieren und Sichorganisierenlassen, 
ohne ein Ordnen und sich Unterordnen, ohne ein Autoritatives und Führendes geht es 
auch in der Demokratie nicht, nicht im Staat und nicht in der Fabrik, nicht in der Kunst 
und nicht im wirtschaftlichen Leben, vor allem wenn dieses zur Weltwirtschaft sich aus- 
weiten soll. 
Deehalb ist für uns Deutsche die Monarchie 
die selbst verständliche, die Republik eine 
utopische Staatsform. Trotz der drei im Bundesrat vertretenen Republiken Hamburg, 
Bremen und Lübeck, die mehr nur große, sich selbstverwaltende Städte sind, ist uns eine 
„Republik“ Elsaß-Lothringen einfach undenkbar, und wir sind daher leicht ungerecht gegen 
die auch hierin, wie in so vielem anderen mehr französisch als deutsch denkenden Politiker 
des Reichslandes. Bielleicht hängt mit diesem monarchischen Zug auch das zusammen, 
daß Deutschland ein so prononcierter Beamtenstaat ist. Dazu hat zuerst 
Friedrich Wilhelm I. den preußischen Staat gemacht, und alle Einrichtungen, nament- 
lich auch das ganze Bildungswesen Preußens sind daraufhin eingestellt und zugeschnitten. 
Der Name Bureaukratie zeigt uns inmitten aller Demokratie um uns her den führen- 
den und verwaltenden Geheimen Rat; und daß diese Geheimräte im ganzen ihre 
Sache gut machen, darauf und auf dem Bewußtsein davon beruht nicht zum wenigsten 
das starke Gefüge unseres deutschen Staates und die Gesundheit unseres öffentlichen 
Lebens. Darin liegt aber zugleich auch die große Verantwortung des Beamten, der 
nicht nur von obenher gut verwalten, sondern auch in den Verwalteten und Regierten 
das Vertrauen auf den Staat und die Liebe zum Staat wecken und wahren soll und 
darum mit dem nötigen Berantwortungsgefühl erfüllt sein muß. Jede unmotivierte 
Unfreundlichkeit und jede Ungerechtigkeit eines Beamten ist eine Schädigung des 
Staatsgedankens und Staatsbewußtseins in den Bürgern, kühlt die Wärme ihrer staat- 
lichen Gefühle ab und verwandelt sie in schweren Fällen in Abneigung, Feindschaft 
und Haß. Das Wort „Bureaukrat“ und „Bureaukratie“ ist heute fast gar zum Schimpf- 
wort geworden als Bezeichnung für eine gewisse „Uninteressiertheit“ und Unpersönlich- 
keit in der Behandlung der öffentlichen Geschäfte, für eine zeittötende, bequeme „Um- 
ständlichkeit“ in ihrer Erledigung und für das Wichtignehmen von und das Wichtigtun 
mit Kleinigkeiten. Aber vor allem steckt darin doch der Vorwurf, daß unsere Bureau- 
Monarchie und Bureaukratie. 
  
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