Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Vierter Band. (4)

  
xIl. Buch. Das öffentliche Leben. 27 
  
ist noch früher auf dem Platz gewesen, sie hat ihre Zugend besonders organisiert und 
Hhält sie von der anderen geflissentlich zurück, um sie in parteipolitischem Sinn beeinflussen 
zu können. Dadurch wird nicht nur der Zweck der sozialen Mischung und Ausgleichung 
vereitelt, sondern durch den Gegensatz ist die Jungdeutschlandorganisation ganz von selbst 
zu einer Abwehrbewegung geworden, und ihr Patriotismus hat eine polemische Spitze 
bekommen. So treten parteipolitische Gesichtspunkte zu einer Zeit an die jungen 
Menschen heran, wo man sie ihnen vielmehr noch durchaus fernhalten müßte. Ma#- 
wird daher alles daransetzen müssen, die patriotische Seite recht unbefangen und 
tendenzfrei zu gestalten. 
Weiter, daß der Sport auch Auswüchse zeitigen kann, das weiß das Volk des Sports, 
wissen die Engländer selber am besten. Bei uns war eine Zeitlang die Hauptgefahr das 
Dominieren des Alkohols, der die Weihe nicht aufkommen ließ, die über die Spiele der 
EGEriechen ausgebreitet war. Um so mehr freuen wir uns des spartanischen Geistes der 
Mäßigkeit und der Enthaltsamkeit, der heute bei den Wanderungen und Spielen unserer 
Zugend, um jener Gefahr zu begegnen, entschieden gepflegt wird. Dagegen ist der Rekord- 
taumel, der von den Alten zu den Zungen und von den Zungen zu den Alten geht und 
aus dem Spielen ein ehrgeiziges Hasten und ein schädliches Sichüberbieten und über- 
anstrengen macht, eine vielfach recht leidige Begleiterscheinung unseres neudeutschen 
Sporttreibens. 
Eine andere Einseitigkeit, die der Bewegung anhaftet, ist, daß man von militärischen 
wie von antimilitärischen Anschauungen und Tendenzen aus diese jugendlichen Ubungen 
und Spiele allzusehr schon als Vorschule des Militärdienstes ansieht: hier will man sie 
zur Verkürzung der Dienstzeit benützen, dort durch sie die Dienstiahre unvermerkt ver- 
längern und ihnen gewissermaßen vorne ein Stück ansetzen. Dadurch kommt die Bewe- 
gung unter den einseitigen Einfluß militärischer Gesichtspunkte und nimmt militärische 
Formen an, die für die Zugend nicht ohne weiteres passen und ihr etwas von der Be- 
wegungsfreiheit wegnehmen, die man an der Schularbeit mit Recht vermißt und des- 
wegen der Schule durch allerlei künstliche Mittel zuzuführen sucht. Der Unterschied von 
Spiel als einem Freien und Arbeit als einem zu Erzwingenden wird verwischt, und 
die Kosten davon hat die Freiheit zu tragen, den Gewinn hat der Zwang, den Schaden 
die Zugend. 
Endlich droht noch in anderer Beziehung Einseitigkeit und Ubermaß. Der Intellek- 
tualismus, der Geist hat uns Deutsche hochgebracht; daher wollen und dürfen wir ihn 
nicht verächtlich beiseite werfen, als ob er seine Schuldigkeit getan hätte und nun gehen 
könnte: das wäre eine üble Einbuße am Wertvollsten. Gewiß war eine Ergänzung nach 
der Seite der körperlichen Ertüchtigung hin notwendig, der intellektuellen Uberfütterung 
und Uberbürdung der Zugend mußte ein Ende gemacht und ein Gegengewicht geboten 
werden. Daher ist der neue Eifer löblich und nützlich. Aber nun sieht es auf einmal 
so aus, als ob namentlich bei den Nachschulpflichtigen das Körperliche alles und das Zn- 
tellektuelle gar nichts mehr wäre. „Allzuviel Sport frißt Gehirn“, und doch ist Gehirn 
feiner und wertvoller als Muskeln und Knochen und bringt weiter als diese. Darum ist 
geistige Nahrung nach wie vor nötig. Wann soll aber der junge Handarbeiter oder der 
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