hysikalische Chemie
Von Dr. E. Rimbach, Prof. ord. hon. der Chemie an der Aniversität Bonn
Wenn, im Anschluß an die vorhergehenden Ausführungen, noch über die Fortschritte
der phosikalischen Chemie im letzten Vierteljahrhundert berichtet werden soll, so
erscheint Vollständigkeit oder näheres Eingehen auf Einzelheiten hierbei ausgeschlossen.
Bei der Fülle des Stoffes und seiner vorwiegend theoretischen Natur verbietet dies die
Knappheit des zugemessenen Naumes und die Absicht des Werkes. Ein kurzes Hervor-
heben der wichtigsten Ergebnisse muß daher genügen.
Beim Beginn der Berichtsperiode waren in großen Gebieten der physikalischen
Chemie einschneidende Umwandlungen in die Erscheinung getreten. van't Hoff in
Amsterdam hatte gefunden (1885), daß der „osmotische Druck" in Lösungen, die eigen-
tümliche Druckerscheinung, die jedesmal meßbar sich beobachten läßt, wenn man eine
Lösung eines Stoffes einerseits, das reine Lösungemittel andererseits durch eine „halb-
durchlässige“ Scheidewand miteinander in Berührung bringt, genau den allgemeinen
Gesetzen des Gasdruckes, dem Gesetz von Mariotte und dem Gesetze von Gay Lussac
folgt. Damit war die Ubertragung der Hypothese Avogadros vom Gaszustande
auf den gelösten Zustand unmittelbar gegeben. Und als dann weiter van't Hoff (1887)
auf thermodynamischem Wege, durch Betrachtung reversibler, mit Hilfe halbdurchlässiger
Wände durchführbarer Kreisprozesse, auch die empirischen Ergebnisse des französischen
Chekers Raoult (1886) über die Beziehungen zwischen Dampfdruck- und Gefrier-
punktsänderungen in Lösungen und deren Molekelzahl als unmittelbaren Ausfluß der
Lehre vom osmotischen Druck darzustellen vermochte, da schloß sich der Kreis der Analogien.
Das große Gebiet der Lösungen war einer eingehenden theoretischen Behandlung
zugängig gemacht, wie man sie bis dahin nur bei gasförmigen Körpern kannte; an Stelle
des Gasdrucks bei letzteren trat bei den Lösungen der osmotische Oruck.
Weiter hatte Arrhenius in Upsala (1887) seine Theorie von der elektrolytischen
Dissoziation aufgestellt. Nach ihr bestehen die Molekeln eines gelösten Elektrolpten —
einer Säure, einer Base, eines Salzes — in der Lösung nicht mehr als solche, sie sind
vielmehr, durch den Lösungsakt, zum lleineren oder größeren Teile in Teilmolekeln
gespalten. Diese Teilmolekeln sind die Faradapschen Fonen, d. h. die Spaltstücke
des Elektrolpten, die beim Hindurchsenden eines elektrischen Stromes durch ihn zu den
Eintrittsstellen des Stromes, den Elektroden, hinwandern. Nach Arrhenius' Theorie be-
finden sich diese Jonen in der Lösung in gewissem Sinne frei, voneinander unabhängig;
jedes abgespaltene Fon fungiert als neue, selbständige Molekel. Der Akt der Auflösung
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