Full text: 180 deutsche Musteraufsätze.

Ausführung: 
Die deutschen Söhne, die dem Rufe ihres Kaisers gefolgt waren 
und die Chinesen gezüchtigt hatten, wurden im Sommer 1901 wieder 
in die Heimat zurückbefördert. Auch unser Bataillon trat im August 
die Heimreise an; doch wurde uns die hohe Ehre zuteil, vor dem 
neiser Franz Joseph in Parade zu erscheinen. Wir landeten deshalb 
in Triest und fuhren von hier über den Semmering nach Wien. 
Die Fahrt glich einem Triumphzuge, der jedem Teilnehmer eine 
ewige Erinnerung bleiben wird. 
Am 27. September vormittags trafen wir in Wien ein, wo uns 
ein vieltausendköpfiges Publikum und die Kapelle der Franzer aus 
Berlin erwartete. Im festen Tritt ging es durch Wien nach dem 
Prater, wo wir in der Albrechtskaserne untergebracht werden sollten. 
Vor dem Wegtreten wurden alle unsere Offtziere und ein Teil der 
Unteroffiziere und Mannschaften dekoriert. Bald danach sorgte eine 
reich gedeckte Tafel für unser leibliches Wohl. Im Laufe des 
Nachmittags traten wir korporalschaftsweise, von österreichischen 
Korporalen geführt, einen Rundgang durch Wien an, der uns mit 
der überaus netten Wiener Bevölkerung in Berührung brachte. 
Abends besuchten wir die Hofoper, wo die „Fledermaus“ aulgeführt 
wurde. Am andern Tage rückten wir nach ber nahgelegenen Wasser- 
wiese und nahmen dort Aufstellung. Plötzlich war in der Ferne ein 
lautes Stimmengewirr zu vernehmen, das immer stärker wurde — 
Wien begrüßte Feinen giser. Mit einem glänzenden Gefolge ritt 
Se. Majestät unsere Front entlang und nahm die Parade ab. Dann ließ 
sich der Kaiser die dekorierten Leute vorstellen und hatte für jeden 
ein paar freundliche Worte. Es folgte jetzt regelrechtes Bataillons-= 
cexrerzieren nach dem damaligen Modus in geschlossener und zer- 
streuter Ordnung, das uns viel Lob einbrachte. Hieran schloß sich 
ein Gefecht, zu dem die Kaiserjäger den Feind markierten. Da 
wir uns heute 6 besonders anstrengten und jeder das Bestreben 
hatte, sein Allerbestes zu geben, braucht wohl nicht besonders 
erwähnt zu werden, war doch ganz Wien unser Zuschauer. Nach 
dem Gefecht rückten wir wieder nach unserm Quartier, um uns zu 
särken. iun diesem Nachmittag besuchten wir den Prater mit seinen 
olksbelustigungen wo wir überall gern gesehene Gäste waren. 
Bei allen diesen Gelegenheiten konnten wir die Wabrnehmung machen, 
daß wir die herzlichst willkommenen deutschen Brüder waren, und 
manches Freundschaftsband wurde geschlossen. 
Doch auch dieser Tag mußte vorübergehen, leider mit einem 
Mißtone. Für den Abend war der Ausgang aus irgend einem 
Grunde verboten. Dieses Verbot wurde aber von zahlreichen Leuten 
übertreten und strenge Bestrafung war die Folge. Am 29. September 
sagten wir schon in aller Frühe der gastlichen Stadt Lebewohl, um 
am Abend bei Oderberg die deutsche Grenze zu überschreiten. Nach 
kurzem Aufenthalt in Lamsdorf winkte die Entlassungsstunde, un 
freudigen Herzens strebte jeder seinem Heimatsstädtchen zu, wo er 
von Verwandten und Bekannten gewiß herzlich empfangen worden ist. 
Alle Teilnehmer aber werden sich noch später gern dieser Parade 
erinnern. Vizefeldwebel Lorenz.
	        
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