auf etwa eine Wegestunde weichen müssen. Die Creuzburger gingen
früher vollständig in ihrer Landwirtschaft auf und hatten wenig Be-
rührung mit der Außenwelt. Erst die seit drei Jahren eröffnete Bahn-
linie Wartha-Treffurt schloß diesen Ort an das Verkehrsnetz an, und
seit dieser Zeit macht sich auch ein Aufschwung auf industriellem
Gebiete bemerkbar. So besitzt das Städtchen jetzt Wasserleitung
Kanalisation, elektrisches Licht, zwei Zigarrenfabriken und eine im
Entstehen begriffene Seidenweberei. Diese veränderten Verhältnisse
aben auch einen günstigen Einfluß auf den Verdienst der ländlichen
Arbeiter gehabt, der fast um das Doppelte gestiegen ist. Die Umgebung
Creuzburgs ist zwar interessant zu nennen, ist aber nicht so bezaubernd
wie die Deiner Heimat. Dicht nördlich der Stadt steigt der etwa
300 m hohe Wisch, ein Kegelberg, auf; an diesen, durch eine tiefe
Schlucht getrennt, reihen sich hoht, stark zerklüftete, steilabfallende
Kalkfelsen, an denen noch zu meiner Kindheit Wein wuchs. Jenseits
der Werra wechseln Felswände mit fruchtbaren Feldern ab. Das
ganze Bild wird durch die Werra, die hier schon eine ganz angemessene
Breite besitzt, ungemein belebt. Wer es unternimmt, den Wisch zu
besteigen, wird durch die schöne Fernsicht reichlich belohnt. Das
Stadtinnere macht den Eindruck eines Landstädtchens. In der Mitte
steht das stattliche Schloß, ein Herrensitz der thüringischen Landgrafen,
um dieses herum im Halbkreis die Wohnstätten der Bürger. Zwei
große Marktplätze, drei Kirchen, davon eine im echt gotischen til,
zwei Schulen, ein Rathaus, die Reste einer Stadtmauer und verschiedene
gut erhaltene Türme geben Zeugnis, daß Creuzburg einst ruhmreiche
und glanzvolle Tage erlebt hat. Die Straßen sind breit, durchweg
gut gepflastert und zum größten Teil mit Bürgersteigen versehen.
Wie schon gesagt, hat sich Creuzburg im letzten Fabrzehnt sehr zu
seinem Vorteil verändert und macht jetzt den Eindruck eines wohl-
habenden Landstädtchens, was zumeist der rührigen Tätigkeit seines
jetzigen Bürgermeisters zuzuschreiben ist.
Doch, lieber Freund, ich sehe Dich im Geiste ein langes Gesicht
machen, weil ich bis jetzt noch nicht auf Dein Steckenpferd, die
Geschichte, eingegangen bin. Ich weiß, daß Du Dich nicht wohl
fühlst, wenn Du nicht die ganze Chronik Deines jeweiligen Aufent-
haltsortes im Kopfe hast. Ferner weiß ich, daß nur Berühmtheiten
und Altertümer anzichend auf Dich wirken. Aber beruhige Dich,
Du wirst in jeder Beziehung befriedigt! Creuzburg. das alte
Cruziburgium, ist ein bemoostes Haupt unter den Städten. Seine
Gründung liegt beinahe 1300 Jahre zurück. Der Apostel Bonifazius
kam im Jahre 722 in diese Gegend, predigte das Evangelium,
errichtete auf dem Berge ein Kreuz und später ein Kloster. Hermann I.,
Landgraf von Thüringen, erbaute aus dem Kloster das noch erhaltene
Schloh, bewirkte, daß sich die Bewohner von vier umliegenden
Dörfern am Fuße des Berges ansiedelten, gab dieser Gemeinde
Stadtrechte, erbaute die Marktkirche und versah die Stadt mit
Mauern und Türmen. Die heilige Elisabeth weilte gern hier. Sie
gebar hier ihren Sohn Hermann, der im 20. Lebensjahre auf dem
Schloß vergiftet wurde, und erhielt an diesem Orte auch die Nachricht,
daß sie Witwe geworden sei. In den thüringischen Erbfolgekriegen
wurde die Stadt mehrfach belagert und zerstört, so im Jahre 1259 vom
Herzog Albrecht von Braunschweig, 1296 von Adolf von Nassau und