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der geringste Untertan empfand es mit Stolz und Freude, daß sein
Kaiser — wie einst dessen großer Vorfahr Friedrich der Einzige —
der Schiedsrichter Europas war. Denn ehrwürdiger noch als sein
Alter und sein Ruhm machte den Kaiser seine Selbstlosigkeit; stärker
als durch seine Waffen war er durch seine Gerechtigkeit. Völker
und Fürsten ehrten die einzige Stellung, die er ebensowohl durch
die beispiellosen Erfolge seiner Waffen wie durch die makellose Rein-
heit seines Charakters gewonnen hatte. Schien er doch die herrlichste
Verkörperung der monarchischen Idee. darzustellen. Und nichts war
an diesem Herrscher klein, sondern wie seine Persönlichkeit, so war
auch sein Denken und Handeln edel und würdig. Ja, die Hoheit seiner
Gesinnung und die Dankbarkeit seines Herzens schienen gleichsam
mit seinem Ruhme und seiner Größe zu wachsen. Aber, ob er auch
von allen Fürsten geehrt war, ob auch der Lorbeer sich dicht um
seine Schläfe wand, so wußte doch auch der geringste im Volke, daß
in der Brust dieses Fürsten ein Herz schlug, das die Leiden der
Elenden und Armen mitempfand, das zu jeder Stunde bereit war,
Hilfe zu schaffen, wo immer eine solche nötig und möglich war.
Kaiser Wilhelm war größer als sein Ruhm und Glück. In der
Bewahrung des Friedens, in dem Ausbau des neuen gegründeten
Reiches, in der Ausgleichung der härtesten sozialen Unterschiede
suchte und fand sein hoher Sinn und seine mit Weisheit und Güte
verbundene Gerechtigkeit die edelsten Aufgaben seines Lebens. So
ist er nicht nur der Sieger über Deutschlands Feinde, nicht nur
der Gründer, sondern auch der Erhalter des Deutschen Reiches, der
eifrigste Förderer des Wohles seiner Untertanen geworden.
Als er starb, ging ein Klageruf nicht nur durch das deutsche
Volk, sondern durch die Welt, und selbst die Nationen, denen sein
siegreiches Schwert tiefe und schmerzende Wunden geschlagen hatte,
gestanden es freimütig ein, daß mit ihm ein Herrscher zu Grabe
getragen wurde, den zu besitzen ein beneidenswertes Glück eines
Volkes ist.
128. Der Große Kurfürst.
Gedankengang:
Geburt. Erziehung in Holland. Thronbesteigung in schwerer
Zeit. Waffenstillstand mit den Schweden. Ausbildung des stehenden
Heeres. Sorge für Ackerbau, Industrie und Bildung. Länder-
erwerb. Der Schwedisch-Polnische Krieg. Krieg gegen Frankreich
und Schweden. Tod. Schöpfer der späteren Größe und Macht
eußens.
Ausführung:
Friedrich Wilhelm, der Sohn des Kurfürsten Georg Wilhelm
von Brandenburg, wurde am 16. Februar 1620 zu Berlin geboren.
Die Jugendzeit verlebte Friedrich Wilhelm in den Niederlanden,
woselbst er die Universität zu Leyden besuchte. Hier machte er auch
die Bekanntschaft des Statthalters von Oranien, eines ausgezeich-
neten Feldherrn, bei dem er die Kriegskunst studieren konnte, welche
später von großem Vorteil für ihn war.