Full text: 180 deutsche Musteraufsätze.

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der geringste Untertan empfand es mit Stolz und Freude, daß sein 
Kaiser — wie einst dessen großer Vorfahr Friedrich der Einzige — 
der Schiedsrichter Europas war. Denn ehrwürdiger noch als sein 
Alter und sein Ruhm machte den Kaiser seine Selbstlosigkeit; stärker 
als durch seine Waffen war er durch seine Gerechtigkeit. Völker 
und Fürsten ehrten die einzige Stellung, die er ebensowohl durch 
die beispiellosen Erfolge seiner Waffen wie durch die makellose Rein- 
heit seines Charakters gewonnen hatte. Schien er doch die herrlichste 
Verkörperung der monarchischen Idee. darzustellen. Und nichts war 
an diesem Herrscher klein, sondern wie seine Persönlichkeit, so war 
auch sein Denken und Handeln edel und würdig. Ja, die Hoheit seiner 
Gesinnung und die Dankbarkeit seines Herzens schienen gleichsam 
mit seinem Ruhme und seiner Größe zu wachsen. Aber, ob er auch 
von allen Fürsten geehrt war, ob auch der Lorbeer sich dicht um 
seine Schläfe wand, so wußte doch auch der geringste im Volke, daß 
in der Brust dieses Fürsten ein Herz schlug, das die Leiden der 
Elenden und Armen mitempfand, das zu jeder Stunde bereit war, 
Hilfe zu schaffen, wo immer eine solche nötig und möglich war. 
Kaiser Wilhelm war größer als sein Ruhm und Glück. In der 
Bewahrung des Friedens, in dem Ausbau des neuen gegründeten 
Reiches, in der Ausgleichung der härtesten sozialen Unterschiede 
suchte und fand sein hoher Sinn und seine mit Weisheit und Güte 
verbundene Gerechtigkeit die edelsten Aufgaben seines Lebens. So 
ist er nicht nur der Sieger über Deutschlands Feinde, nicht nur 
der Gründer, sondern auch der Erhalter des Deutschen Reiches, der 
eifrigste Förderer des Wohles seiner Untertanen geworden. 
Als er starb, ging ein Klageruf nicht nur durch das deutsche 
Volk, sondern durch die Welt, und selbst die Nationen, denen sein 
siegreiches Schwert tiefe und schmerzende Wunden geschlagen hatte, 
gestanden es freimütig ein, daß mit ihm ein Herrscher zu Grabe 
getragen wurde, den zu besitzen ein beneidenswertes Glück eines 
Volkes ist. 
128. Der Große Kurfürst. 
Gedankengang: 
Geburt. Erziehung in Holland. Thronbesteigung in schwerer 
Zeit. Waffenstillstand mit den Schweden. Ausbildung des stehenden 
Heeres. Sorge für Ackerbau, Industrie und Bildung. Länder- 
erwerb. Der Schwedisch-Polnische Krieg. Krieg gegen Frankreich 
und Schweden. Tod. Schöpfer der späteren Größe und Macht 
eußens. 
Ausführung: 
Friedrich Wilhelm, der Sohn des Kurfürsten Georg Wilhelm 
von Brandenburg, wurde am 16. Februar 1620 zu Berlin geboren. 
Die Jugendzeit verlebte Friedrich Wilhelm in den Niederlanden, 
woselbst er die Universität zu Leyden besuchte. Hier machte er auch 
die Bekanntschaft des Statthalters von Oranien, eines ausgezeich- 
neten Feldherrn, bei dem er die Kriegskunst studieren konnte, welche 
später von großem Vorteil für ihn war.
	        
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