Full text: 180 deutsche Musteraufsätze.

Ausführung: 
Das Riesengebirge ist ein Teil der Sudeten, ein fortlaufender 
öhenzug von üdost nach Nordwest; es bildet die Grenze zwischen 
Schlesien und Böhmen. Vom Kamme aus schaut man in beide 
Länder hinein; man begegnet Leuten von hüben und drüben. 
Seinen vielversprechenden Namen hat es wahrscheinlich von den 
Anwohnern auf schlesischer Seite empfangen, da es von hier aus den 
großartigsten Eindruck macht, während es von Böhmen aus gesehen, 
bei weitem nicht so bedeutend erscheint. 
Die Kuppen, welche sich über den Kamm erheben, sind meist 
kegelföärmig oder abgerundet; die höchste Spitze derselben ist die 
Schneekoppe. Sie hat die Form eines stumpfen Kegels und erreicht 
eine Höhe von 1600 Meter. Auf ihrer Spitze befinden sich zwei 
Gebäude, eine Kapelle und eine Koppenbaude; diese gewährt den 
zahlreichen Reisenden ein bequemes und angenehmes Obdach. Die 
Aussicht von diesem erhabenen Punkte ist großartig; man sieht in 
einem Augenblick Breslau, Prag und die Landeskrone bei Görlitz; 
eine Anzahl von Bergen, Hügeln, Tälern, Dörfern und Städten 
liegt vor unseren Blicken ausgebreitet. Wenden wir unser Auge 
nach Westen, so seben wir nacheinander die Sturmhaube, das hohe 
Rad und den Reifträger, nördlich aber den Isarkamm und Hochstein. 
Nicht minder merkwürdig, als die Erhebungen, sind die 
bedeutenden Einsenkungen (Teichgruben), denen wir an verschiedenen 
Stellen hin begegnen. Das Gebirge fällt hier 125 bis 190 Meter 
tie steil hinab. Noch großartiger aber Hnd die Abstürze der großen 
und kleinen Schneegrube. Dieselben bilden an 314 Meter tiefe 
Schlünde, aus denen eine große Anzahl Felsennadeln dem von oben 
hinabblickenden Wanderer entgegenstarren. Unfern des Schnee- 
grubenrandes liegt die Schneegrubenbaude an der Kanzel Rübezahls, 
die aus Granit-Gelsblocken besteht. Dieser Punkt wird nächst der 
Schneekoppe von den Reisenden am meisten besucht. 
Auf dem Moor= und Torfboden des Riesengebirges haben Elbe, 
Aupe, Zacken, Bober, Iser, Queis usw. ihre Geburtsstätte. 
Tausende von Bergwassern, silberne Ouellen brechen aus Höhen 
und Schluchten, aus Felsen und Waldesgründen hervor und durch- 
rauschen die Täler und Hochebenen. Fast an jeder Baude schlängelt 
sich ein Bach vorüber, und der Mensch hat sich darum auch hier, 
sei es in unfreundlicher, schwer ersteiglicher Höhe, seine Hütte gebaut, 
wo es ihm an dem notwendigen Elemente nicht gebricht, wo seine 
Tiere auf frischer Weide Futter und kühlen Labetrunk finden. Die 
Kuppen des Riesengebirges sind ganz kahl, und die Gehänge und 
niederen Joche tragen meistens Nadelholz. über der Höhe von 
1130 Meter wächst nur noch eine kleine Strecke hinauf die Zwerg- 
kieser, das niedere Knieholz, aus welchem man in Schlesien allerlei 
niedliche Sachen verfertigt. Nur vereinzelt zeigt sich hier und da 
noch der Vogelbeerbaum (Eberesche). Auf den höchsten Punkten 
finden sich nur noch lange Flechten (Teufelsbart), isländisches Moos 
und wohlriechendes Veilchenmoos. In den tieferen Tälern und 
Ebenen gedeihen alle Getreidearten, auf den Wiesen und Gründen 
wachsen die köstlichsten Kräuter. Die Mitte der Berge umgürten 
Wälder aller mitteldeutschen Holzarten.
	        
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