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Wie in allen Hochländern ist die Witterung hier einem bestäu-
digen Wechsel unterworfen. Großartig sind die Gewitter an heißen
Sommertagen. Im saftigsten Grün von allen Schattierungen prangt
das Gebirge zur Frühlings= und Sommerzeit. Im Spätherbst und
Winter rasen eisige Stürme darüber weg, und gewaltige Schnee-
massen bedecken oft in wenigen Minuten den ganzen Kamm.
Dörfer gibt es im eigentlichen Riesengebirge nicht, aber viele
zerstreute Wohnungen, Bauden genannt, gleich den Sennhütten auf
den Alpen, nur daß man einige derselben auch im Winter bewohnt
(Winterbauden). Man zählt deren wohl an 3000, deren Bewohner
Rindvieh= und Ziegenzucht treiben und gegen 20000 Kühe und
12000 Ziegen halten. Diese Bauden sind von Holz auf einer steinernen
Grundlage erbaut, welche einige Klafter hoch über den Boden her-
vorragt. Der Eingang ist durch das überhängende Dach vor dem
Wetter geschützt; die Wohnstube, mit einem großen Kachelofen und
einigen Tischen und Bänken ausgestattet, ist geräumig; daneben be-
findet sich eine Kammer, und gegenüber, durch paus Ur und Küche
getrennt, ist der Stall. Das Dach ist mit Schindeln bedeckt und reicht
bei den an Bergabhängen stehenden Bauden an der Hinterseite bis auf
den Boden hinab: unter demselben ist der Futtervorrat und zuweilen
die Schlafstelle für einen Teil der Familie oder der Gäste. Der
Reisende findet darin eine gute Herberge.
Die Hauptbeschäftigung der Bewohner des Riesengebirges ist
die Viehzucht, ihre Nahrung ist sehr einfach und besteht aus Milch,
Butter, Käse, Forellen, Brot ustv. Die Bewohner der Sudeten sind
* Abstammung nach Slaven und Deutsche. Die Mundart der Slaven
ist die böhmische und mährische. Die deutsche Mundart ist weich
und lautreich und klingt angenehm und treuherzig. Die Gebirgs-
bewohner haben einen starken, festen, wenngleich mageren Körperbau-
Sie erfreuen sich einer dauerhaften Gesundheit, was sich aus der
häufigen Bewegung in freier Luft und der einfachen Lebensweise
herleiten läßt. Gleich einfach ist ihr geistiger, religiöser und mora-
lischer Charakter. «
Von einem fleißigen Schulbesuche der Kinder des Gebirges kann
freilich nicht die Rede sein, teils wegen der Entfernung der Schulen,
teils deshalb, weil der Besuch derselben 8 Monate im Jahre fast ganz
unmöglich ist. Der Bergbewohner hat einen recht gesunden Verstand
und einen natürlichen Takt, der ihn selbst in schwieriger Verlegenheit
nicht verläßt. Das Herz ist treu, die Gesinnung redlich. Groß ist
die Vorliebe für die Tonkunst, besonders auf der böhmischen Seite.
Der Religion nach sind die Bewohner des schlesischen Teils und
einiger böhmischen Dörfer im Isertale evangelisch, die übrigen
sämtlich katholisch. Sie sind voll religiösen Sinnes, besuchen Sonn-
tags stundenweit die Kirche und leben an den Orten, wo beide
Bekenntnisse gemischt sind, friedlich und verträglich zusammen. Wo
Wasser und tragbarer Boden ist, haben sich die Gebirgsbewohner
angesiedelt. Selbst auf den hohen Kämmen hat sich der Gebirgs-
mensch seine einsame Hütte gebaut, wenn er Weide für sein Vieh
findet. Hier verträumt er, verschneit, von Orkanen und Schnee-
stürmen umbraust, den langen Winter fern von nachbarlicher Teil-
nahme und Hilfe, auf den kleinen Kreis seiner Familie angewiesen,