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145. Klein ist die Wiege alles Großen.
Gedankengang:
1. Einleitung. Die Natur ist gewissermaßen ein Abbild des mensch-
lichen Lebens. Alles ist dort anfangs klein, so Pflanzen, Bäche
Tiere und alle Geschofe Ebenso ist es auch mit dem mensch-
lichen Geiste, daher: „Klein ist die Wiege alles Großen.“
II. Ausführung:
1. So Kenntnisse, Gedanken, Wille, Erfindungen.
2. Dieser Gedanke treibt uns an:
a) Unsere Lebenszeit richtig zu gebrauchen.
b) Unter allen Umständen freudig zu hoffen.
III. Beispiel von Demosthenes.
Ausführung:
Die Natur ist gewissermaßen ein Abbild des menschlichen Lebens.
Alles ist darin anfangs klein. Die Pflanzen keimen unter der Erde
und niemand achtet auf sie. Doch bald durchbrechen sie die Erdrinde
und streben in die Höhe. Oft wachsen sie zu mächtigen Bäumen heran,
die mit ihrem Blätterdache die Umgebung beschatten und stolz auf
ihre Umgebung herabschauen. Ebenso der Bach, dessen Quell im
Gebirge entspringt. Anfangs plätschert er ruhig, doch bald wächst
er mehr und mehr und stürzt endlich donnernd ins Tal hinab, alles
mit sich führend, was sich seinem Laufe entgegenstellt. Doch bald
beendet er seinen Lauf in einem größeren Strome. Das Tier
gleicht ihm; denn nach seiner Geburt liegt es meist hilflos und
schwach da, muß von seiner Mutter ernährt und von seinem Vater
beschützt werden. Doch nach und nach wird es kräftig, lernt sich
selbst beschützen und verläßt das heimische Lager. Wie es nun in
der Natur ist, so ist es auch beim menschlichen Geiste; daher sagt
der Dichter: „Klein ist die Wiege alles Großen.“
Der menschliche Geist, das schönste und wertvollste, was der
Mensch besitzt, der ihn vor allen anderen Geschöpfen hervorhebt und
ihm den ersten Platz in der Schöpfung einnehmen läßt, entwickelt
sich erst allmählich. Die Kenntnisse der Menschen sind anfangs
schwach und gering; doch je mehr sich der Körper ausbildet, desto
mehr gewinnen auch die Kenntnisse an Umfang. Die Gedanken
eines Kindes erstrecken sich nur auf ein sehr kleines Gebiet. Doch
erweitert sich dieses allmählich mehr und mehr, und die Phantasie
fördert den menschlichen Gedankenflug. Doch mit dem zunehmenden
Alter läßt die Schärfe des Geistes wieder nach. Ebenso der Wille. Die
Jugend kennt die eigentliche Bedeutung des Wortes meistens nicht.
Die Kinder werden, wenn ihr Vorhaben keinen günstigen Erfolg
hat, leicht unwillig und geben es auf. Doch der herangereifte
Mann nimmt es mit dem Willen nicht so leicht, er führt seine Vor-
sätze aus. Auch denkt er nicht wie die Jugend nur an den Gebrauch
des schon Vorhandenen, sondern sein Wille strebt höher hinaus.
Er sucht neues zu erfinden; denn es heißt nach dem Dichter: „Es
kämpft der Mann, und alles will er wagen.“