Weil nun aber nicht alles Glänzende so wertvoll ist, wie
das Gold, so folgt daraus, daß
a) nicht alles Gold ist, was glänzt.
Beispiele: Schönes Haus, schöne Kleider, schöne Worte,
schöne Blumen usw. und
b) daß manches nicht glänzt und doch Gold ist.
Beispiele: Der Acker, das Handwerk.
II. Schluß. Daraus folgt, daß man eine Sache nicht nach dem
7 äußeren Schein und rim°Mls beurteilen darf. Denn ein anderes
Sprichwort sagt: „Der Schein trügt“.
Ausführung:
Gold und Silber haben zum Teil darum ihren Wert bei den
Menschen erlangt, weil sie ein glänzendes, das Auge erfreuendes
Ansehen haben. So fanden sie Verwendung als glänzender Schmuck
und wurden darum und wegen ihrer Seltenheit geschätzt. Es ist
also nicht zu verwundern, daß das Streben der Menschen auf den
Besitz * Metalle, insbesondere des glänzendsten lgerichtet ge—
wesen ist.
senn doch ist es der Glanz nicht allein, um deswillen das Gold
so begehrenswert erscheint. Denn diesen Glanz teilt es auch mit
anderen, weniger kostbaren Gegenständen und Mineralien. Sieht
doch das frisch geprägte Kupfer dem Golde ähulich. Es sind eben
noch andere Gründe, hauptsächlich das seltene Vorkommen desselben,
seine Dehnbarkeit, Schwere und die Fähigkeit seinen Glanz zu be-
wahren, welche das Gold wertvoll machen. Wollte man nun nach
dem äußeren Glanz urteilen, so würde man schwer irren und unter
Umständen Kupfer für Gold ansehen.
Wenn nun aber nicht alles Glänzende so wertvoll ist, wie das
Gold, so folgt daraus, daß nicht alles Gold ist, was glänzt. Glänzt
auch ein Ding, so ist es darum noch lange kein Gold. Außen kann
es Gold sein, doch oft ist es innen Kupfer. Wir wissen aber, daß
das Außere bald abgegriffen wird. Manches glänzt wie Gold aus
der Ferne, in der Mh- aber ist es Messing. Nun kann man wohl
Kupfer von Gold unterscheiden, aber den Betrüger vom Ehrenmanne
ausscheiden können, das ist schwer. Manches Haus sieht von außen
sehr schön aus, kommt man aber hinein, so ist viel darin, was nicht
gefällt Kleider machen Leute, sagt ein anderes Sprichwort, und
och findet man oft unter einem schönen Kleide einen schlechten und
feigen Charakter. Viele Menschen verstehen es, in ihrem Außern
anmutig aufzutreten und schtne Worte zu führen. Vielen gefällt
dieses Wesen, und sie lassen sich von solchen Menschen leicht betören
und sind von ihnen eingenommen, bis sie schließlich doch merken,
daß es nur prahlende und lärmende Reden waren und nichts Rechtes
dahinter steckt. Schöne bunte Blumen riechen gar oft nicht, und
manche Waren erscheinen uns äußerlich so verlockend und vorteilhet
und sind doch schließlich nichts wert. Oft ist also da am wenigsten
Gold, wo der Glanz und die Prahlerei am größten ist. Wer viel
Lärm macht, hat wenig Mut. Wer viel von seinen Talern redet,
hat nicht viel, sagt Hebel.
16“