Full text: 180 deutsche Musteraufsätze.

Weil nun aber nicht alles Glänzende so wertvoll ist, wie 
das Gold, so folgt daraus, daß 
a) nicht alles Gold ist, was glänzt. 
Beispiele: Schönes Haus, schöne Kleider, schöne Worte, 
schöne Blumen usw. und 
b) daß manches nicht glänzt und doch Gold ist. 
Beispiele: Der Acker, das Handwerk. 
II. Schluß. Daraus folgt, daß man eine Sache nicht nach dem 
7 äußeren Schein und rim°Mls beurteilen darf. Denn ein anderes 
Sprichwort sagt: „Der Schein trügt“. 
Ausführung: 
Gold und Silber haben zum Teil darum ihren Wert bei den 
Menschen erlangt, weil sie ein glänzendes, das Auge erfreuendes 
Ansehen haben. So fanden sie Verwendung als glänzender Schmuck 
und wurden darum und wegen ihrer Seltenheit geschätzt. Es ist 
also nicht zu verwundern, daß das Streben der Menschen auf den 
Besitz * Metalle, insbesondere des glänzendsten lgerichtet ge— 
wesen ist. 
senn doch ist es der Glanz nicht allein, um deswillen das Gold 
so begehrenswert erscheint. Denn diesen Glanz teilt es auch mit 
anderen, weniger kostbaren Gegenständen und Mineralien. Sieht 
doch das frisch geprägte Kupfer dem Golde ähulich. Es sind eben 
noch andere Gründe, hauptsächlich das seltene Vorkommen desselben, 
seine Dehnbarkeit, Schwere und die Fähigkeit seinen Glanz zu be- 
wahren, welche das Gold wertvoll machen. Wollte man nun nach 
dem äußeren Glanz urteilen, so würde man schwer irren und unter 
Umständen Kupfer für Gold ansehen. 
Wenn nun aber nicht alles Glänzende so wertvoll ist, wie das 
Gold, so folgt daraus, daß nicht alles Gold ist, was glänzt. Glänzt 
auch ein Ding, so ist es darum noch lange kein Gold. Außen kann 
es Gold sein, doch oft ist es innen Kupfer. Wir wissen aber, daß 
das Außere bald abgegriffen wird. Manches glänzt wie Gold aus 
der Ferne, in der Mh- aber ist es Messing. Nun kann man wohl 
Kupfer von Gold unterscheiden, aber den Betrüger vom Ehrenmanne 
ausscheiden können, das ist schwer. Manches Haus sieht von außen 
sehr schön aus, kommt man aber hinein, so ist viel darin, was nicht 
gefällt Kleider machen Leute, sagt ein anderes Sprichwort, und 
och findet man oft unter einem schönen Kleide einen schlechten und 
feigen Charakter. Viele Menschen verstehen es, in ihrem Außern 
anmutig aufzutreten und schtne Worte zu führen. Vielen gefällt 
dieses Wesen, und sie lassen sich von solchen Menschen leicht betören 
und sind von ihnen eingenommen, bis sie schließlich doch merken, 
daß es nur prahlende und lärmende Reden waren und nichts Rechtes 
dahinter steckt. Schöne bunte Blumen riechen gar oft nicht, und 
manche Waren erscheinen uns äußerlich so verlockend und vorteilhet 
und sind doch schließlich nichts wert. Oft ist also da am wenigsten 
Gold, wo der Glanz und die Prahlerei am größten ist. Wer viel 
Lärm macht, hat wenig Mut. Wer viel von seinen Talern redet, 
hat nicht viel, sagt Hebel. 
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