Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

Rechtsverhältnisse der Untertanen. $ 234 1003 
2. Die Rechtsstellung der einzelnen Religionsgesellschaften in 
Deutschland ist folgende: 
a) Diekatholische und die evangelische(lutherische 
und reformierte) Kirche nehmen die Stellung privilegierter 
Religionsgemeinschaften ein und gelten in vielen (nicht allen) Be- 
ziehungen als öffentliche Korporationen®®, Sie genießen einen 
besonderen strafrechtlichen Schutz, ihre Geistlichen sind in vielen 
Beziehungen den Staatsbeamten gleichgestellt, sie erhalten eine 
Dotation aus Staatsmitteln und ihre Abgaben können im Wege 
der Verwaltungsexekution beigetrieben werden. Den Katholiken 
stehen nach einigen Landesgesetzen die Altkatholiken gleich, 
welche vom Standpunkte der betreffenden Staaten als Katholiken 
betrachtet werden ®®, 
b) Unter den übrigen christlichen Religionsgesell- 
schaften?” sind diejenigen besonders ausgezeichnet, weiche sich 
387 ff., weil der deutsche Staat sich indirekt zum Christentum als der religiösen 
Grundlage des Volkstums bekenne, indem er die christlichen Kirchen als 
öffentliche Korporationen behandle und damit ihren Wert für seinen Be- 
stand und seine Wohlfahrt anerkenne. Dieser Umstand berechtigt aber 
doch noch nicht, den Staat selbst für einen „christlichen“ zu erklären. Noch 
weniger kaun aus den Beziehungen des Staates zur Religion überhaupt, 
namentlich dem konfessionellen Charakter der Schulen oder der Erteilung 
von Religionsunterricht in denselben und dem Gebrauch des Eides, wie 
Rieker, Die Stellung des modernen Staates zu Religion und Kirche, Dresden 
1855 behauptet, ein spezifisch christlicher Charakter des Staates hergeleitet 
werden. 
26 Diese Charakterisierung ist in der Wissenschaft vielfach üblich und 
hat ihren Ausdruck auch in der Gesetzgebung gefunden (Preuß, ALR T. II 
Tit. 11 3 17 ff, Bayr. Rel. Ed. $ 28, Bad. G. vom 9. Okt. 1860 8 11. Wider-- 
spruch dagegen hat Kahl a. a, 0. 832 ff. erhoben, weil das Wesen der öffent- 
lıchen Korporation streitig sei. Doch empfindet er selbst das Bedürfnis, 
die Kirchen von anderen Korporationen zu unterscheiden, und will sie des- 
halb als „qualifizierte Korporationen“ bezeichnen. Übereinstimmend: Schön 
im Verwaltungsarchiv 6 126, der aber der Bezeichnung der Kirchen als 
öffentliche Korporationen nur politische, nicht rechtliche Bedeutung zu- 
erkennt. [Ähnlich wie a. a. O. spricht sich Schoen über die Frage in 
seinem Preuß. Kirchenrecht 1 172 aus: die Kirchen seien staatsrechtlich 
keine öffentlichen Korporationen; sie „haben lediglich die private Kor- 
porationsqualität, die auch andere Religionsgesellschaften besitzen, sie unter- 
scheiden sich jedoch von diesen ... . durch bestimmte Qualitäten, die ihnen 
eine hervorragende Stellung auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts ein- 
zäumen.“ Wie Kahl und Schoen im wesentlichen auch Anschütz, Komm. 1 
800, 801: „Das Kennzeichen der öffentlichrechtlichen Korporation, Selb- 
ständigkeit, verbunden mit Organschaft im Staat, ist bei den Gemeinden, 
weiteren Kommunalverbänden und anderen „weltlichen“ Selbstverwaltungs- 
körpern vorhanden, bei den Kirchen dagegen nicht. Deshalb sind Kirche 
und Gemeinde inkommensurabel. Nur diese, nicht auch jene läßt sich unter 
den Gattungsbegriff der öffentlichrechtlichen Korporation bringen; die Ge- 
meinde ist öffentlichrechtliche Korporation, die Kirche ist es nicht“, Äbn- 
lich sprechen sich auch Rosin, Recht der öffentl „Genossenschaft 17 ff., S5ff,, 
Bierling, ArchÖfR 7 224 und Haenel, Staatsr. 1 151 aus]. 
26 Preuß. G. vom 4. Juli 1875, Bad. G. vom 15. Juni 1874. 
"! Jacobson, Über die Arten der Religionsgesellschaften und die 
religiösen Rechtsverhältnisse der Dissidenten in Preußen, Zeitschrift für 
Kirchenrecht 1 392 f.; Stählin, Geschichte der Rechtsverhältnisse der re-
	        
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