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4. Diese Theorie hatte sich in Anlehnung an den Einheits-
staat entwickelt und war, sofern man lediglich diese Form poli-
tischen Zusammenlebens im Auge hatte, durchaus zutreffend. In
neuerer Zeit entstanden aber die bundesstaatlichen Ver-
fassungen der Vereinigten Staaten von Nordamerika, der Schweiz
und Deutschlands. Durch diese wurde eine Reihe von Staaten
zu einem größeren politischen Verbande zusammengefaßt und der
Herrschaft desselben unterworfen. Diese Staaten waren, weil sie
der Herrschaft des Bundes unterstanden, nicht souverän, ent-
behrten also derjenigen Eigenschaft, welche bisher als die für den
Staat wesentlichste angesehen war.
Gegenüber diesen Gestaltungen entstand daher die Frage, ob
die Souveränetät in der Tat ein notwendiger Bestand-
teil des Staatsbegriffes sei. Wurde dieselbe bejaht, so
blieb nur eine doppelte Möglichkeit. Entweder man wendete den
Begriff „Staat“ auch ferner auf die Einzelstaaten an und schrieb
diesen Souveränetät zu; dann mußte man jede Oberherrschaft des
Bundes über dieselben leugnen und letzteren für ein bloßes völker-
rechtliches Vertragsverhältnis erklären?. Oder man nahm
an, daß in einem solchen Verhältnis lediglich der Bund souverän
sind die meisten späteren Schriftsteller gefolgt: Auch in neueren Werken
wird die Theorie von der notwendigen Souveränetät des Staates noch viel-
fach vertreten: H. A. Zachariä, Deutsches Staats- u. Bundesrecht 1 Q 12) 41.
Zöpfl, Grundsätze des gemeinen deutschen Staater. 1 ($$ 2, 5, 8) 2, 9, 18.
v. Gerber, Grundzüge des deutschen Staatsrechts (3. Aufl. 1880) ($ 7) 22.
Waitz, Politik 18. Biluntschli, Allg. Staatl. 561 ff. v. Treitschke, Bund und
Reich. Preuß. Jahrbücher 80 526; Politik 1 35. Seydel, Z.StaatsW. 1872 190;
Ann.D.R. 1898 324; Vorträge aus dem alle. St.R. (1903) 14 ff., 76. Bake,
Beschouwingen over den staatenbond en den bondsstaat (1881) 11ff., 36.
Zorn, St.R. 1 63ff. Gierke, 7.Staats\V. 30 304, SchmollersJ. 7 1169. Borel,
Etude sur la souverainet& de l’etat federatif (1886) 75 ff. Linge, Empirische
Untersuchungen zur allg. Staatslehre 223, 235. Bormhak, Allg. Staatal. 9.
@. Bansi, Ann.D.R. (1898) 660. Le Fur, Etat federal et confederation d’6dtats
{1896), [eine deutsche Bearbeitung zus. mit P. Posener (1902)] 354 ff. Com-
bothecra in der Revue de droit public 8 250 ff. Übrigens sind mehrere
dieser Schriftsteller, insbes. Zorn und Bormhak, in ihren usführungen nicht
konsequent, wie Rehm, Staatsl. 119, 124 ff. nachweist. — Nur scheinbar ge-
hört dieser Gruppe von Schriftstellern an v. Stengel, SchmollersJ. 22 TTT
Er erklärt zwar die Souveränetät für eine wesentliche Eigenschaft des Staates,
verbindet mit dem Worte aber einen ganz andern Begriff als den in der
Wissenschaft anerkannten. Die Souveränetät ist nach ihm nur etwas Relatives
und schließt eine Unterordnung nicht aus. Souverän nennt er alle Gemein-
wesen, welche völkerrechtliche Subjekte sind, sich selbst die von ihnen zu
verfolgenden Zwecke setzen und, unkontrolliert von einer übergeordneten
Gewalt, Recht schaffen können (a. a. O. 788). Der Verfasser legt also dem
Worte „Souveränetät“ eine Bedeutung bei, welche von dem bisherigen Sprach-
ebrauche völlig abweicht. Er versteht darunter nur die relative Selbständig-
keit, welche auch Staaten in Bundesverhältnissen zukommt und welche als
die wesentliche Eigenschaft dieser schon längst von anderen Schriftstellern,
namentlich von G. Meyer und Jellinek erkannt worden ist (vgl. unt. N. 20).
Die von ihm charakterisierten Gemeinwesen sind allerdings Staaten, aber
nicht notwendig souveräne Staaten.
? Seydel, Der Bundesstaatsbegriff, 2.StaatsW. (1872) 185 ff.; Abhandlungen
(1893) 1; Kommentar zur Verfassungsurkunde f. d. Deutsche Reich (2) 2 ff.