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enthält jedoch nur einen Vergleich, dessen Verwendung mit großer
Vorsicht erfolgen muß®. Das Hauptverdienst der ‘organischen
Staatstheorie liegt auf der negativen Seite. Es besteht darin, daß
sie früheren unrichtigen Auffassungen, z. B. der, daß der Staat
eine Maschine*, daß er eine vertragsmäßige Vereinigung einzelner
Individuen, überhaupt, daß er etwas künstlich Gemachtes sei,
entgegengetreten ist®. Für die juristische Konstruktion des Staates
kann der Begriff des Organismus nicht verwendet werden®.
Vom juristischen Standpunkte bezeichnet man den Staat als
Person, d. h. als Rechtssubjekt des öffentlichen Rechtes. Die
Herrschaftsrechte gegenüber den Untertanen stehen dem Staate
als Gemeinwesen und nicht dem Herrscher zu; der Herrscher
erscheint nur als Organ des Staates”. Die Auffassung des Staates
als eines selbständigen, von der Person des Herrschers unab-
hängigen Rechtssubjektes findet sich schon bei den politischen
Schriftstellern des klassischen Altertums mit völliger Klarheit aus-
gesprochen. Dagegen war es der mittelalterlich- germanischen
Staats- und Rechtsanschauung eigentümlich, daß sie alle Rechts-
verhältnisse in individuelle Beziehungen von Person zu Person
auflöste. Von diesem Standpunkte erschien der Herrscher nicht
als Organ des Gemeinwesens, sondern als persönlicher Herr, welcher
mit seinen Untertanen durch eine Reihe einzelner Rechte und
Pflichten verbunden war. Die mittelalterlich-italienische Doktrin
hielt jedoch unter dem Einfluß der antiken Anschauungen den
® Am weitesten geht in der Vergleichung des Staates mit einem Orga-
nismus, speziell mit dem menschlichen Körper, Bluntschli in seinen Psycho-
logischen Studien über Staat und Kirche (1844, Auch in seinen späteren
erken tritt diese Auffassung, wenngleich in gemilderter Form, stark in
den Vordergrund, Zu den entschiedensten Vertretern der organischen Staats-
theorie ist ferner Herbert Spencer zu zählen. Vgl. über ihn Grosch im
Arch.Öff.R. 25 410.
* Sogenannte mechanische Staatstheorie. Hauptvertreter: Schlözer.
(Nähere Angaben bei Gierke, Althusius 200.)
„ 5 Gänzlich verkannt ist dieses Verdienst in der Schrift von van Krieken,
Über die sogenannte organische Staatstheorie (1873). — Vgl.Gierke, Z. StaatsW.
80 281 ff.; v. Treitschke, Politik 1 23; E. Kaufmann in der in voriger Nr.
zit. Schrift.
© Am besten handelt über diesen Gegenstand v. Gerber, St.-R. Beilage I.
Der Staat als Organismus 217 ff. Vgl. auch Jellinek, System 35 ff. Gegen
die Auffassung des Staates als Organismus Combothecra, L’etat en tant
quiorgenisme in der Revue de droit public 5 279. Im Sinne des Textes:
ehm, Staatsl. 155; Jellinek, Staatsl. 148; Anschütz, Enzyklop. 8.
Das Hauptverdienst um die Kritik und Bekämpfung der organischen
Trmatstheorie gebührt Jellinek, Staatsl. 148. Gegen ihn neuestens Preuß,
er Organpersönlichkeit. SchinollersJ, (1902) 103 ff.: scharfsinnige Unter-
suchungen, welche einerseits die wissenschaftliche Position der organischen
Theorie wiederum nicht unbeträchtlich heben dürften, andererseits aber einen
Beitrag zu der Erkenntnis liefern, daß der Abstand zwischen jener Theorie
und der heute herrschenden Persönlichkeitslehre (Jellinek, Stastsl. 169 ff.)
nicht so groß ist als allgemein angenommen wird. — Vermittelnd zwischen
den Anhängern und Gegnern der organischen Theorie: R. Schmidt, Allg.
Staatsl. 156 ff, 161 ff.
? Vgl. J. Lukas, Die rechtliche Stellung des Parlamentes... (1901) 66.