Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

14 Einleitung. $ 98. 
enthält jedoch nur einen Vergleich, dessen Verwendung mit großer 
Vorsicht erfolgen muß®. Das Hauptverdienst der ‘organischen 
Staatstheorie liegt auf der negativen Seite. Es besteht darin, daß 
sie früheren unrichtigen Auffassungen, z. B. der, daß der Staat 
eine Maschine*, daß er eine vertragsmäßige Vereinigung einzelner 
Individuen, überhaupt, daß er etwas künstlich Gemachtes sei, 
entgegengetreten ist®. Für die juristische Konstruktion des Staates 
kann der Begriff des Organismus nicht verwendet werden®. 
Vom juristischen Standpunkte bezeichnet man den Staat als 
Person, d. h. als Rechtssubjekt des öffentlichen Rechtes. Die 
Herrschaftsrechte gegenüber den Untertanen stehen dem Staate 
als Gemeinwesen und nicht dem Herrscher zu; der Herrscher 
erscheint nur als Organ des Staates”. Die Auffassung des Staates 
als eines selbständigen, von der Person des Herrschers unab- 
hängigen Rechtssubjektes findet sich schon bei den politischen 
Schriftstellern des klassischen Altertums mit völliger Klarheit aus- 
gesprochen. Dagegen war es der mittelalterlich- germanischen 
Staats- und Rechtsanschauung eigentümlich, daß sie alle Rechts- 
verhältnisse in individuelle Beziehungen von Person zu Person 
auflöste. Von diesem Standpunkte erschien der Herrscher nicht 
als Organ des Gemeinwesens, sondern als persönlicher Herr, welcher 
mit seinen Untertanen durch eine Reihe einzelner Rechte und 
Pflichten verbunden war. Die mittelalterlich-italienische Doktrin 
hielt jedoch unter dem Einfluß der antiken Anschauungen den 
® Am weitesten geht in der Vergleichung des Staates mit einem Orga- 
nismus, speziell mit dem menschlichen Körper, Bluntschli in seinen Psycho- 
logischen Studien über Staat und Kirche (1844, Auch in seinen späteren 
erken tritt diese Auffassung, wenngleich in gemilderter Form, stark in 
den Vordergrund, Zu den entschiedensten Vertretern der organischen Staats- 
theorie ist ferner Herbert Spencer zu zählen. Vgl. über ihn Grosch im 
Arch.Öff.R. 25 410. 
* Sogenannte mechanische Staatstheorie. Hauptvertreter: Schlözer. 
(Nähere Angaben bei Gierke, Althusius 200.) 
„ 5 Gänzlich verkannt ist dieses Verdienst in der Schrift von van Krieken, 
Über die sogenannte organische Staatstheorie (1873). — Vgl.Gierke, Z. StaatsW. 
80 281 ff.; v. Treitschke, Politik 1 23; E. Kaufmann in der in voriger Nr. 
zit. Schrift. 
© Am besten handelt über diesen Gegenstand v. Gerber, St.-R. Beilage I. 
Der Staat als Organismus 217 ff. Vgl. auch Jellinek, System 35 ff. Gegen 
die Auffassung des Staates als Organismus Combothecra, L’etat en tant 
quiorgenisme in der Revue de droit public 5 279. Im Sinne des Textes: 
ehm, Staatsl. 155; Jellinek, Staatsl. 148; Anschütz, Enzyklop. 8. 
Das Hauptverdienst um die Kritik und Bekämpfung der organischen 
Trmatstheorie gebührt Jellinek, Staatsl. 148. Gegen ihn neuestens Preuß, 
er Organpersönlichkeit. SchinollersJ, (1902) 103 ff.: scharfsinnige Unter- 
suchungen, welche einerseits die wissenschaftliche Position der organischen 
Theorie wiederum nicht unbeträchtlich heben dürften, andererseits aber einen 
Beitrag zu der Erkenntnis liefern, daß der Abstand zwischen jener Theorie 
und der heute herrschenden Persönlichkeitslehre (Jellinek, Stastsl. 169 ff.) 
nicht so groß ist als allgemein angenommen wird. — Vermittelnd zwischen 
den Anhängern und Gegnern der organischen Theorie: R. Schmidt, Allg. 
Staatsl. 156 ff, 161 ff. 
? Vgl. J. Lukas, Die rechtliche Stellung des Parlamentes... (1901) 66.
	        
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