Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

Die Organe. $ 105. 373 
Str@GB. eine Interpretation wie diejenige, welche dem Obertribunals- 
beschluß vom 29. Januar 1866 zugrunde liegt, aus! Die Un- 
verantwortlichkeit bezieht sich mithin sowohl auf Behauptungen 
von Tatsachen als auf Mitteilungen von Resultaten des Denk- 
vermögens. Sie bezieht sich auf alle Außerungena, welche in 
Ausübung des Berufes getan sind, also nicht bloß auf diejenigen 
im Plenum, sondern auch auf die in Abteilungen, Kommissionen 
und Deputationen, gleichviel ob die betreffende Sitzung oder Ver- 
handlung innerhalb oder außerhalb des Parlamentsgebäudes statt- 
findetb. Es ist dadurch nicht bloß jede [straf- und zivil-] gericht- 
liche sondern auch jede disziplinarische Verfolgung, und zwar zu 
jeder Zeit«, ausgeschlossen 1°, Die Außerungen und Abstimmungen 
vom 12. Okt. 1874 8 27, Württ. Verf, G. vom z.,. Juni 1874 Art. 9 zu Verf. 
$ 185, Braunschw. GO. $ 55. [Die Aufhebung der betreffenden Vorschriften 
der Landesverfassungen ist eine vollständige, sie beschränkt sich nicht auf 
das Gebiet des Strafrechts; vgl. Anm. 15. — And. M. insbes. Seydel-Piloty, 
Bayr. St.R. 1 84] . 
14 [Die Wahl des Ausdrucks „Außerungen“ statt — wie Art. 84 Preuß. 
Verf. sagt — „Meinungen“ erfolgte eingestandenermaßen zu dem Zwecke, 
um der Äuslegung des OTr. den Boden zu entziehen, denn das OTr. hatte, die 
Verschiedenheit der durch die beiden Worte bezeichneten Begriffe betonend, 
selbst zugegeben, daß ein Ausdruck wie „Außerungen“ weit genug sei, um 
auch die bloße Behauptung von Tatsachen einzuschließen.] 
a Das Privileg bezieht sich nicht bloß auf mündliche, sondern auch auf 
schriftliche, sowie auf solche Außerungen, welche durch Geberden (Nicken 
oder Schütteln des Kopfes) oder sonstige schlüssige Handlungen (Sitzenbleiben 
beim Hoch auf den Landesherrn) kundgegeben werden, nicht dagegen auf 
anderweite Handlungen und Tätlichkeiten. Vgl. Hubrich a, a. O. 360, sowie 
die strafrechtliche Lit. zu $ 11 StrGB. 
b Durch die Immunität würden also auch gedeckt sein z. B. die Rede 
des Sprechers einer zum Monarchen entsandten Deputation des Landtags 
und die Äußerungen bei den Verhandlungen einer nach außerhalb entsandten 
parlamentarischen Untersuchungskommission (oben S. 333). Doch muß es 
sich immer um eine innerhalb des parlamentarischen Berufes getane 
Äußerung handeln. Hierunter fallen nicht z. B. Zwiegespräche privater 
Natur zwischen zwei Landtagsmitgliedern, Reden des Abgeordneten vor 
seinen Wählern (denn zwischen diesen und dem Abgeordneten besteht, wie 
oben 370Qdargelegt, kein Rechtsverhältnis, also kann es auch nicht im Rahmen 
des „Berufs“, d. h. der staatsrechtlichen Eigenschaft des Abgeordneten liegen, 
seinen“ Wähler irgendwelche Mitteilungen zu machen: richtig Bormhak, 
Preuß. Staatsr. 1 427), Verhandlungen in Parteiversammlungen oder Fraktions- 
sitzungen (denn die politischen Parteien und die Organisationen ihrer parla- 
mentarischen Vertreter, die Fraktionen, sind keine Institutionen des Staats- 
rechts). 
e Das heißt: eine durch $ 11 StrGB. ausgeschlossene Verfolgung darf 
weder während noch nach Schluß der Sitzungsperiode, sie darf überhaupt 
niemals, auch nicht nach dem Erlöschen der Landtagsmitgliedschaft (durch 
Beendigung der Legislaturperiode, Niederlegung oder sonstigen Verlust des 
Mandats) stattfinden. Klar bringt dies, zugunsten der Reichstagsmitglieder, 
Art. 30 RV. (vgl. unten $ 133) zum Ausdruck; es ist unbedingt anzunehmen, 
daß StrGB. $ 11 die Landtagsmitglieder in dieser Beziehung nicht ungünstiger 
stellen wollte als Art. 30 die Mitglieder des Reichstags. 
5 Daß Str&GB. $ 11 die disziplinarische Verfolgung verbietet, ist 
(obwohl dabei das Bedenken zu überwinden ist, daß die Disziplinargerichts- 
barkeit außerhalb des Zuständigkeitskreises der Reichsgesetzgebung_ liegt), 
kaum bestritten; vgl. die strafrechtliche Lit. zu $ 11, z. B. Frank, Komm,
	        
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