Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

376 Zweiter Teil. Zweites Buch. 3 100. 
Wahrheitsgetreue Berichte über die Verhandlungen 
der Landtage bleiben von jeder Verantwortlichkeit frei!®, Dieser 
Grundsatz ist eine Konsequenz einerseits der Öffentlichkeit der 
Landtagsverhandlungern, andrerseits der den Landtagsmitgliedern 
eingeräumten Redefreiheit!?. Derselbe war ursprünglich weder 
in England noch in den Vereinigten Staaten anerkannt und hat 
sich in beiden Ländern erst sehr allmählich durchgesetzt?°. Da- 
gegen ist er unter dem Einfluß der französischen Verfassungs- 
entwicklung in Deutschland eingeführt?! und durch das Reichs- 
strafgesetzbuch reichsrechtlich festgestellt worden ??, Ob ein Bericht 
ein wahrheitsgetreuer ist, kann nur nach Lage des einzelnen Falles 
entschieden werden. Jedenfalls bezieht sich die Straffreiheit nur auf 
Berichte über eine ganze parlamentarische Verhandlung oder eine 
ganze Sitzung, nicht auf den Abdruck einer einzelnen Rede®®, 
4. Die Landtagsmitglieder sind der Disziplin des Land- 
tages oder der betreffenden Kammer unterworfen. Dieselbe wird 
durch den Präsidenten ausgeübt, welcher bei unpassenden oder 
beleidigenden Äußerungen den ÖOrdnungsruf ergehen läßt. In 
einigen Staaten besitzt der Landtag oder die Kammer sogar das 
Recht, ein Mitglied wegen unwürdigen Betragens oder beharrlicher 
Versäumnis der Sitzungen auszuschließen *%, 
18 L. Fuld, Die Straffreiheit wabrheitsgetreuer Reichstagsberichte, in 
Ann.D.R. (1887) 251 ff. ; Hubrich, Die Immunität der parlamentarischen Bericht- 
erstattung ebenda (1897) 1ff.; Slädelez in der N. 5 angeführten Abhandlung. 
1% Während Hubrich a. a.O. 2, 44 ff., den Grundsatz lediglich als eine 
Folge der Öffentlichkeit ansieht, will ihn Slädetez a. a. O. 128 gerade aus 
der Immunität der Abgeordneten herleiten. Beide Auffassungen sind ein- 
Beitig; es hat bei der Festsetzung derselben sowohl das eine als das andere 
Moment mitgewirkt. 
2° IJnEngland ist erst in diesem Jahrhundert durch ein ausdrückliches 
Gesetz (Acte 3 u. 4 Vict. c. 9) bestimmt worden, daß Veröffentlichungen, 
welche auf Befehl des Parlamentes erfolgen, straffrei sind; dieses Privileg 
seit 44 u. 45 Vict. c. 60 auf alle wahrheitsgetreuen Zeitungsberichte über 
Verhandlungen in öffentlichen Versammlungen ausgedehnt. Während früher 
die Gerichte von der Ansicht ausgingen, daß für derartige Berichte eine 
volle Verantwortlichkeit bestehe (May, Law of parliament Bd. I chap. IV), 
hat sich in neuerer Zeit die entgegengesetzte Meinung verbreitet (vgl. die 
Außerungen des Lord Chief Justice bei Bar, Redefreiheit 16: Hubrich in 
Ann.D.R. (1897) 9, 10: Hatschek, Englisches Staatsr. 1 420) In den Ver- 
einigten Staaten ist die Verantwortlichkeit offizieller Veröffentlichungen 
anerkannt. Hinsichtlich der privaten Berichte waren die amerikanischen 
Juristen verschiedener Meinung. indem z. B. Kent, Commentaries on american 
law, 8 ed., New-York 1854, P. II, Sect. XI Nr. 4, sich für, Cooley, a treatise 
on the constitutional limitations, 3. ed., Boston 1874, chap. XII p. 459 u. 460 
gegen die Verantwortlichkeit aussprach. Letztere Ansıcht darf aber jetzt 
als die maßgebende angesehen werden. Vgl. Hubrich a. a. O. 11, 12; Freund, 
Amerik, Stnatsr. 46. 
*ı Hubrich a. a. O. 12 ff. 
22 RStrGB. $ 12. 
33 Vgl. auch Entsch. R.G. Strafs. 15 32 ff, 18 207 ff.; Binding, Handb 
Strafr. 680 ff. 
24 Preuß. Gesch. des H. d. Abg. $ 64 (Fassung vom 6. Mai 1910), Bayr. 
G. vom 19. Jan. 1872 Art. 26—28 (dazu G. vom 4. Juli 1904), Württ. Gesch.
	        
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