Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

50 Einleitung. $ 14. 
In den Bundesstaaten der Gegenwart richten sich die — oder 
doch gewisse — Herrschaftsrechte der Bundesgewalt unmittelbar 
gegen die Individuen, das Volk, nicht nur gegen die Einzelstaaten 
und durch deren Vermittelung erst gegen das Volk, wie denn 
z. B. die Bundes- (in Deutschland: Reichs-) Gesetze ihre verbind- 
liche Kraft durch Erlaß und Verkündigung von Bundes (Reichs) 
wegen erlangen (R.V. Art. 2e), Eine solche unmittelbare Unter- 
ordnung des Volkes unter die Bundesgewalt ist gewiß politisch 
wertvoll: als Bürgschaft für die Autorität der Bundesgewalt und 
gegen staatenbündische Entartung des Bundesstaatsverhältnisses, 
Sie trifft auch, wie erwähnt, regelmäßig zu und darf daher als 
naturale des Bundesstaatsbegriffes bezeichnet werden. Ein not- 
wendiges, wesentliches Merkmal (essentiale) dieses Begriffes ist sie 
aber nicht und am wenigsten ist es angängig, die Definition des 
Bundesstaates allein auf dieses Moment zu stellenf. 
Die Einzelstaaten sind der Bundesgewalt als einer über ihnen 
stehenden Gewalt unterworfen, also nicht souverän, die Bundes- 
gewalt dagegen (sofern sie nicht ihrerseits, was denkbar, eine noch 
höhere Staatsgewalt über sich hat) souveräng. Die Souveränetät 
ist mithin nicht, wie eine ältere Theorieh behauptet, zwischen 
Bund und Gliedern geteilt — denn Souveränetät ist eine Eigen- 
schaft, welche einem Gemeinwesen nur entweder ganz oder garnicht 
zustehen kann; sie ist weder teilbar noch beschränkbar, sie teilen 
heißt sie zerstöreni — sondern sie ruht ganz und ungeteilt bei 
203 #.; Le Fur, Etat federal 601 f., 673ff.; Gareis, Allgem, Staater. 110; 
Affolter, Ann.D.R. (1903) 837 ff.; Veith, Der rechtliche Einfluß der Kantone 
auf die Bundesgewalt nach schweiz. Bundesstaatsrecht (1902). — Im Gegen- 
satz hierzu bezeichnet die ältere, von Tocqueville (la d&mocratie en Amerique 
(I, 8) und Waitz (Politik 163 ff., 173 ff.) geführte Bundesstaatstheorie es als 
ein Erfordernis des Bundesstaates, daß die Einzelstaaten von jedem recht- 
lichen Einfluß auf die Bildung des Bundeswillens ausgeschlossen seien, 
VglG. Meyer, Grundzüge 12ff., Erörterungen 15ff. Die Stellung G. Meyers 
zu dieser Frage war cine vermittelnde: a. a. OÖ. und in den Vorauflagen 
dieses Buches (6. A. 46) spricht er sich dahin aus, daß eine Beteiligung der 
Einzelstaaten bei der Bildung der Bundesgewalt in keiner Weise gegen das 
Wesen des Bundesstaates verstoße, daß aber auch dies Wesen jene Be- 
teiligung nicht erfordere. Weitere Vertreter dieser Ansicht bei Laband, 
St.R. 1 61 N. 2, dazu noch Hatschek, Allg. Staatsr. 8 43. 
6 vpl unten $& 167. 
f Wie dies in den früheren Auflagen dieses Buches geschah. Vel. 
6. A. 43, 44: „Bundesstaat ist dasjenige undesverhältnis, in welchem die 
Bundesgewalt ihre Herrschaftsrechte direkt über die einzelnen Untertanen 
ausübt.” „Jedes Bundesverhältnis, in welchem die Bundesgewalt eine un- 
mittelbare Herrschaft über die einzelnen Staatsangehörigen besitzt, ist ein 
Bundesstaat.“ Ebenso oder ähnlich die dort Anm, 4 zitierten. Dagegen im 
Sinne des Textes: Laband 1 78ft.; Zorn, St.R.1 73; Gierke, SchmollersJ. 7 1162 
N. 2; Rümelin, Z.StaatsW. 89 201 ff., 40 394 ff,; Hatschek, Allg. Staatsr. 8 42. 
8 Vgl. 6. A. 48. Die heute herrschende Meinung, daß im Bundesstaat 
nur der Bund, nicht aber die Staaten souverän scien, ist zuerst von G. Meyer, 
Staatsrechtl. Erörterungen (1872) 2 ff. aufgestellt worden. 
b Waitz in seinen oben $ 13 Anm. b zit. Schriften; vgl. bes. Politik 162 ff. 
i Hierauf nachdrücklichst hingewiesen und damit die Waitzsche Bundes- 
staatstheorie widerlegt zu haben, ist das Verdienst von Seydel: Über den
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.