Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

64 Erster Teil. Erstes Buch. $ 19. 
deren Gebiet durch den örtlichen Umfang bestimmt wurde, in 
welchem einer Person Grafschaftsrechte zustanden. Der Berech- 
tigte übte entweder seine Befugnisse selbst aus oder bestellte dafür 
einen Grafen, welchem namentlich die Wahrnehmung der richter- 
lichen Funktionen zustand. Diese kleinen Herrscher (Fürsten) 
hatten sich zwischen den König und die Untertanen als Mittel- 
instanz eingeschoben und den direkten Untertanenverband ver- 
nichtet. Sie umgaben den König auf den Reichstagen, leiteten 
ihre Rechte lehnsweise von ihm ab und waren ihm zur Treue ver- 
bunden. Über die ihnen unterworfenen Personen übten sie eine 
Herrschaft aus, welche sich aus verschiedenen Elementen, Grafen- 
rechten, Immunitätsbefugnissen, Seniorat, Lehnsherrlichkeit, Grund- 
herrlichkeit, Vogtei usw. zusammensetzte. Im fortwährenden 
Kampfe mit dem Königtum wußten sie ihre Rechte immer mehr 
zu erweitern. Diese Entwicklung wurde dadurch begünstigt, daß 
das deutsche Reich seit 911 ein Wahlreich geworden und daß mit 
ihm seit 962 die römische Kaiserkrone verbunden war. Nament- 
lich der letztere Umstand hat das deutsche Königtum in viel- 
fache Streitigkeiten mit der römischen Kirche und Italien ver- 
wickelt, über welchen die Aufgaben im Innern des Reiches ver- 
nachlässigt wurden. 
Zu einer höheren Gewalt über den Grafen und Fürsten ent- 
wickelte sich seit dem neunten Jahrhundert das [schon früher 
vorhandene, durch die Karolinger vorübergehend niedergehaltene] 
Stammesherzogtum. Auch dieses hatte seinen ursprünglichen 
Amtscharakter mehr und mehr in den einer eigenberechtigten 
Herrschaft verwandelt. Die Rechte der Herzöge waren weder in 
den verschiedenen Jahrhunderten, noch in den einzelnen Herzog- 
tümern völlig gleich; einen wesentlichen Bestandteil derselben 
bildete aber jedenfalls der Heerbann. Die Könige, denen die 
wachsende Macht der Herzöge gefährlich zu werden drohte, 
wußten im Bunde mit den Fürsten das Stammesherzogtum zu 
beseitigen, eine Entwicklung, welche mit dem Sturze Heinrichs 
des Löwen entschieden ist. Die Früchte dieses Sieges erntete 
aber nicht das Königtum, sondern die Fürsten, welche zu ihren 
früheren Befugnissen nun auch noch die Herzogsrechte hinzu er- 
warben. 
Seit dieser Zeit (1180) bildete sich ein fester Begriff des 
Fürstenstandes aus. Fürsten wurden nunmehr nur diejenigen 
genannt, welche ein Territorium mit voller Heeres- und Gerichts- 
gewalt, [bei den weltlichen Fürsten Fahnlehn, bei den geistlichen 
Szepterlehn genannt] unmittelbar vom Könige zum Lehn hatten *. 
Für die Fürsten kam auch die Bezeichnung „Landesherren“ 
domini terrae), für die ihrer Herrschaft unterworfenen Gebiete 
er Name „Länder“ (territoria) auf. Die erste urkundliche An- 
erkennung der landesherrlichen Rechte findet sich in den beiden 
* Ficker, Vom Reichsfürstenstande. Innsbruck 1861.
	        
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