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vor England, sondern Gewissen und Selbstachtung verboten uns, fried-
lichen Angehörigen selbst feindlicher Staaten unnötiges Leid zuzufügen.
Aber die deutschen Behörden können auch anders, wenn es nunmehr sich
darum handeln wird, Wiedervergeltung zu üben und die in Deutschland
noch immer auf freiem Fuß lebenden Engländer und vor allem auch die
vielfach recht anmaßend und herausfordernd auftretenden Engländerinnen
einmal durch eigene Erfahrung erproben zu lassen, ob und inwieweit die
Konzentrationslager nach englischem Vorbild den Anforderungen der
Menschlichkeit entsprechen.“ "
Der in dem Telegramm des Staatssekretärs erwähnte Bericht des
Mitgliedes der amerikanischen Botschaft in London, Chandler P. Anderson,
und des Leiters der österreichisch-ungrischen Abteilung derselben amerika-
nischen Botschaft Chandler Hale, über einen Besuch, den sie den Gefangenen-
lagern in Frimley, in Quensferry und in Wales abgestattet haben, wird
in der „Nordd. Allg. Ztg.“ veröffentlicht. In diesen Lagern werden deutsche
und österreichisch-ungarische Soldaten und Offiziere und Zivilpersonen fest-
gehalten. In dem Bericht heißt es:
Die bezeichneten Lager wurden ausgewählt, weil sie die einzigen, jetzt
in Gebrauch befindlichen Lagerarten darstellen. Das Lager in Frimley
ist ein eingezäuntes Freiluftlager, wo die Leute in Zelten untergebracht
sind. Lager in Queensferry ist ein gedecktes Lager, das aus geräumigen
unbenutzten Fabrikgebäuden besteht und mit einem Plankenzaune um-
geben ist, der noch ein Uebungsfeld mit einem Platz zum Kochen, Waschen
und für Sanitätsvorrichtungen einschließt. Die Freiluftlager sollen
während des kalten Winters in Gebäude verlegt werden.“
Der Bericht enthält dann Einzelheiten über die Verpflegung, Küchen-
ausstattung, Kantinen, Schlafgelegenheiten, Kleidung, Waschgelegenheit,
Sanitätsvorrichtungen und allgemeine Behandlung der Gefangenen, die
beruhigend lauten. Die Gefangenen sollen auch im ungestörten Gespräch
mit den beiden Amerikanern fast gar keine Klagen vorgebracht haben.
Nur einige Leute beschwerten sich über ihre Gefangennahme aus dem
Grunde, weil sie zum Roten Kreuz gehört hätten.
Welche Angst bereits hier ansässige Engländer vor der möglichen An-
wendung von Vergeltungsmaßregeln haben, zeigt folgende Nachricht aus
Hamburg: Die Leiter der in Hamburg anschsigen englischen Banken
richten im Einverständnis mit vielen in Hamburg vertretenen englischen
Firmen aller Art an ihre Haupthäuser in London Schreiben, worin sie
dringend für gemeinsame Schritte bei den englischen Behörden zur Besse-
rung in der Behandlung der deutschen Kriegsgefangenen vorstellig werden.
Es wird dargelegt, die Befürchtung sei begründet, daß die deutsche Regie-
rung dem Druck der öffentlichen Meinung in Deutschland nachgeben und
Vergeltung an den hier lebenden Engländern üben werde, falls die britische
Regierung nicht die Nachrichten über die Behandlung der deutschen Zinvil-
personen in England widerrufen oder Milderungen verbürgen könne. Die
deutschen Behörden seien jetzt schon strenger geworden. Im übrigen aber
könne bestätigt werden, daß die britischen Unternehmungen und die Briten
selbst in Deutschland bisher durchaus höflich und aufmerksam von den Be-
hörden behandelt worden seien. Die strengeren Maßnahmen seien immer
erst einige Zeit später, nachdeim eine schärfere Behandlung in England ein-
gesetzt hätte, getroffen worden. So habe man beispielsweise Aufsichtsbeamte
in englischen Banken und Geschäften schon am 4. September ernannt,