Full text: der Weltkrieg 1914. Band 2. (1)

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stücke festgestellt worden ist, wie und in welchem Grade Belgien seine 
Neutralität England gegenüber aufgegeben hatte, ist nunmehr alle Welt 
über zwei Tatsachen im klaren: Als unsere Truppen in der Nacht vom 
3. zum 4. August das belgische Gebiet betraten, da befanden sie sich auf 
dem Boden eines Staates, der seine Neutralität selbst längst durchlöchert 
hatte. (Lebhaftes Sehr richtig!) Und die weitere Tatsache: nicht um 
der belgischen Neutralität willen, die England selbst mit untergraben 
hatte, hat uns England den Krieg erklärt, sondern weil es glaubte, 
zusammen mit zwei großen Militärmächten des Festlandes unser Herr 
werden zu können. (Lebhaftes Sehr richtig!) Schon seit dem 2. August, 
seit seinem Versprechen der Kriegsfolge an Frankreich, war England nicht 
mehr neutral, sondern tatsächlich im Kriegszustand mit uns. (Lebhaftes 
Sehr richtig!) Die Motivierung seiner Kriegserklärung am 4. August 
mit der Verletzung der belgischen Neutralität war nichts als ein Schau- 
stück, geeignet das eigene Land und das neutrale Ausland über die 
wahren Beweggründe zum Kriege irrezuführen. Jetzt, wo der bis in alle 
Einzelheiten ausgearbeitete englisch-belgische Kriegsplan enthüllt ist, ist 
die Politik der englischen Staatsmänner vor der Weltgeschichte für alle 
Zeit gekennzeichnet. (Sehr richtig!) Die englische Diplomatie hat selbst 
ja auch noch ein Uebriges dazu getan. Auf ihren Ruf entreißt uns 
Papan das heldenmütige Kiautschou und verletzte dabei die chinesische 
Neutralität. (Sehr wahr!) Ist England gegen diesen Neutralitäts- 
bruch eingeschritten? Hat es da seine peinliche Fürsorge für die neu- 
tralen Staaten gezeigt? (Sehr gutl) 
Meine Herren, als ich vor 5 Jahren auf diesen Platz berufen wurde, 
stand dem Dreibund festgefügt die Tripleentente gegenüber, ein Werk 
Englands, bestimmt dem bekannten Prinzip der balance of power zu 
dienen, das heißt ins Deutsche übertragen: der seit Jahrhunderten be- 
folgte Grundsatz englischer Politik, sich gegen die jeweils stärkste Macht 
auf dem Kontinent zu wenden, sollte in der Tripleentente sein stärkstes 
Werkzeug finden. Darin lag von vornherein der aggressive Charakter 
der Tripleentente gegenüber den rein defensiven Tendenzen des Drei- 
bundes, darin lag der Keim zu gewaltsamer Explosion. Ein Volk von 
der Größe und Tüchtigkeit des deutschen läßt sich nicht in seiner freien 
und friedlichen Entwicklung ersticken. (Lebhafter Beifall.) Angesichts 
dieser Kombination war der deutschen Politik der Weg klar vorge- 
schrieben: sie mußte versuchen, durch Verständigung mit den einzelnen 
Mächten der Tripleentente die Kriegsgefahr zu bannen, sie mußte gleich- 
zeitig unsere Wehrkraft so stärken, daß sie dem Kriege, wenn er doch kam, 
gewachsen war. (Sehr richtig!l) Sie wissen, meine Herren, wir haben 
beides getan. 
In Frankreich begegneten wir immer wieder dem Revanchegedanken. 
Von ehrgeizigen Politikern genährt, erwies er sich stärker als der unzwei- 
felhaft von einem Teil des französischen Volkes gehegte Wunsch, mit 
uns in nachbarlichen Verhältnissen zu leben. Mit Rußland kam es zu 
einzelnen Vereinbarungen, aber eine feste Allianz mit Frankreich, sein 
Gegensatz zu dem mit uns verbündeten Oesterreich-Ungarn und ein von 
panslawistischen Machtgelüsten gezüchteter Deutschenhaß machten jede 
Vereinbarungen unmöglich, die für den Fall politischer Krisen die Kriegs- 
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