Full text: Die Verfassung und Verwaltung im Deutschen Reiche und Preußen. Erster Band. Deutsches Reich. (1)

16 1. Buch. 1. Abschnitt. Staatsrechtliche Grundlagen. 
In neueren Gesetzen ist das Wort „Gesetz“ im weiteren Sinne der- 
gestalt gebraucht, daß auch das Gewohnheitsrecht mit einbegriffen ist. 
Vgl. ESG. z. StPO. § 7, EG. z. ZPO. 8 12, EG. z. KO. 8 2. 
Gesetz im formellen Sinne ist ein Verwaltungsakt, den die Staats- 
regierung nicht ohne Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften (in 
Preußen der Kammern) erlassen darf, und der dann auch in der Ge- 
setzsammlung zu publizieren ist, z. B. das Etatsgesetz. 
2. Entstehung eines Gesetzes. Zum Zustandekommen eines Ge- 
setzes sind erforderlich: 
A. in Preußen. Mehrheitsbeschlüsse der beiden Kammern und 
Sanktion durch den König (Art. 62 Verf.). 
B. im Reich. Mehrheitsbeschlüsse von Bundesrat und Reichstag. 
Zu A. Vor dem Inkrafttreten der pr. Verfassung vom 31. Januar 
1850 war der König alleiniger Gesetzgeber. 
Das Recht, Gesetze und allgemeine Polizeiverordnungen zu geben, 
dieselben wieder aufzuheben, und Erklärungen darüber mit gesetzlicher 
Kraft zu erteilen, ist ein Majestätsrecht (§ 6 pr. ALR. II, 13). 
Die Benennung der vor der pr. Verfassung erlassenen Gesetze ist 
eine sehr verschiedene, z. B. statt Gesetz Verordnung, Edikt, Instruktion, 
Reglement, Konstitution, Deklaration. Die Wirksamkeit der Gesetze ist 
jedoch von der Bezeichnung nicht abhängig. 
In der Verordnung vom 20. März 1817 (GS. S. 67) ist zwar 
bestimmt, daß alle Gesetze zunächst zur Prüfung dem Staatsrat 
vorzulegen seien. Der Staatsrat, infolge der Ereignisse des Jahres 
1848 zeitweilig außer Wirksamkeit gesetzt, reaktiviert durch Erl. vom 
12. Januar 1852 (MB. S. 219) blieb stets nur eine beratende Be- 
hörde. Das Gesetz entstand erst durch die Bestätigung des Königs. 
3. Zum Gesetz im materiellen Sinne gehören zwei wesentliche Be- 
griffsmomente: Gesetzesinhalt und Gesetzesbefehl. 
Seydel 1) charakterisiert das Verhältnis beider Begriffe zueinander 
in der Weise, daß er sagt: „Der Gesetzesbefehl nimmt den Gesetzes- 
en in sich auf, hebt ihn zu sich empor und macht ihn dadurch zum 
esetze.“ 
4. Sanktion eines Gesetzes im Landesstaatsrecht besteht in 
der Unterschrift des Staatshauptes (Monarchen) unter das Gesetz und 
in der Kontrasignatur des gesamten Staatsministeriums nach Prüfung 
aller Formalien, welche dem Zustandekommen des Gesetzes voraus- 
gegangen sind, und der Identität des zu verkündenden Gesetzestextes 
mit dem vereinbarten und sanktionierten. Im Reiche heißt dieser Akt 
Ausfertigung?), während als Sanktion die Zustimmung des 
Bundesrats gilt. 
5. Die Publikation ist die offizielle Bekanntmachung des Ge- 
setzestertes, d. h. Abdruck in der Gesetzsammlung und Ausgabe der 
betreffenden Nummer der Gesetzsammlung. 
1) In seinem Bayer. Staatsrecht Bd. 3. S. 543. 
2) Seydel, Schulze und andere erkennen in der Ausfertigung keinen eignen 
staatsrechtlichen Akt, sondern erklären dieselbe für einen Teil der Sanktion.
	        
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