Full text: Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat. Erster Band: Einleitung. Die Titel. Vom Staatsgebiete und Von den Rechten der Preußen. (1)

526 Artikel 29, 30. Die Versammlungsfreiheit nach dem RVG. 
Die Bedeutung des RVG für das kirchliche und religiöse 
Assoziationswesen, insbesondere der Sinn und die Tragweite des Vor- 
behalts im § 24 des Gesetzes: 
„Unberührt bleiben die Vorschriften des Landesrechts über 
kirchliche und religiöse Vereine und Versammlungen, über kirch- 
liche Prozessionen, Wallfahrten und Bittgänge sowie über geist- 
liche Orden und Kongregationen 
ist bereits in anderem Zusammenhange — oben bei Art. 12, S. 208ff. — 
eingehend erörtert worden. Es ist (vgl. dort 209ff.) wiederholt 
darauf hinzuweisen, daß dieser Vorbehalt nur diejenigen Landesgesetze 
bestehen läßt, welche sich ausdrücklich und speziell auf kirchliche 
und religiöse Vereine usw. beziehen. Von den partikulären Vereins- 
gesetzen, insbesondere dem Pr V,, sind lediglich diejenigen Bestimmungen 
in Kraft geblieben, welche nur, nicht aber diejenigen, welche auch 
für religiöse Vereine gelten. Es gelten also gemäß RVG K+5524 in 
Preußen noch (abgesehen von der Gesetzgebung über Orden und Kon- 
gregationen): Art. 12, welcher die Freiheit der Vereinigung zu Religions-= 
gesellschaften proklamiert, ferner Pr VG § 2 Abs. 3 und §5 10, welche die 
mit Korporationsrechten ausgestatteten kirchlichen und religiösen Vereine 
bzw. ihre Versammlungen und die Prozessionen, Wallfahrten und Bitt- 
gänge, „wenn sie in der hergebrachten Art stattfinden“", von gewissen 
Beschränkungen entbinden, denen sie sonst, in Ermangelung dieser Ent- 
bindung, unterworfen wären (vogl. oben 209, 210). Besondere Be- 
schränkungen oder Belastungen (Erlaubnisvorbehalte, Verbotsmöglich- 
keiten usw.) religiöser Versammlungen und solcher religiöser Vereine, 
welche nicht zu den Orden und Kongregationen gehören, kennt das 
preußische Recht nicht, es findet daher (vgl. oben 209) auf solche 
Versammlungen und Vereine das RV vorbehaltlos Anwendung. 
3. Die Versammlungsfreiheit. — Versammlungen im Sinne des 
Pr VG wie des RVG sind Zusammenkünfte mehrerer Personen 
zum Zwecke gem einsamer Erörterungen oder Kundgebungen. 
Durch ihren Zweck unterscheidet sich die Versammlung von andern, ihr bis- 
weilen äußerlich ähnlichen, unverbundenen Personenmehrheiten. Ein Auf- 
lauf auf der Straße, das Gewimmel des Marttes, ein Ball oder anderes 
Fest, ein Theater= oder Konzertpublikum sind Ansammlungen von 
Menschen, aber keine Versammlungen; sie genießen infolgedessen nicht 
den besonderen Schutz des RVG, wie sie anderseits auch dessen be- 
schränkenden Vorschriften nicht unterliegen. Das Verbundensein durch 
jenen Zweck ist für den Begriff der Versammlung erforderlich, aber 
auch ausreichend: weitere Verbindungen oder Gemeinsamkeiten in-
	        
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