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Vorbedingungen, wenigstens in einem erheblichen Theil der
Bevölkerung vorhanden ist !25).
Wo diess der Fall ist, ist das Referendum von grosser
Wirkung zur weiteren Ausbildung des politischen Sinnes und des
Charakters einer Bevölkerung, und es hat unter allen Umständen
folgende Vortheile vor dem Repräsentativsystem:
1) Es erhält zunächst die Gesetzgebung populär in
doppeltem Sinne. Das Volk lernt sie besser kennen, als diess
durch irgend eine andere Staatseinrichtung möglich sein würde.
Selbst „Fortbildungsschulen“ oder „bürgerlicher Unterricht“ werden
eine solche fortlaufende Bekanntschaft mit allen Gesetzen in allen
Kreisen der Bevölkerung, wie sie das obligatorische Referendum
namentlich gibt, niemals vermitteln. Vollends wenn die Gesetze
stets mit den richtigen Botschaften begleitet sind, so ist diess eine
politische Erziehung der besten Art und ohne das pedantische, für
erwachsene selbstdenkende Menschen eher Abstossende, das einer
politischen Schule im eigentlichen Sinne stets anhaften würde !?®).
125) Auf alle warten bis sie „reif“ sind, würde im Staatsrecht ebenso
klug sein, wie wenn man ein Kind ewig am Gängelbande halten wollte.
Viele Erzieher machen zwar in der That dieses Experiment bei ihren Zög-
lingen und ernten die Frucht, ewig unselbstständige Menschen. Die Völker
sind darin von den Einzelnen nicht verschieden. Man muss sie selber gehen
lassen, sobald sie es irgend vermögen. Schon Kant sagt diess mit den Worten:
„Zum Reifen für die Freiheit wird doch nothwendig das Gegebensein irgend
eines Masses von Freiheit als Bedingung erfordert.“ Die ersten Versuche,
fährt er fort, seien immer beschwerlicher, als da man noch unter der Vor-
sorge Anderer stund, „aber man reift für die Vernunft nie anders als
durch eigene Versuche, welche machen zu dürfen man frei sein muss“.
Wir glauben daher unsererseits nicht, dass die Institution des Referendums
unbedingt nur für Republiken zugänglich sei. Sie ist in einer con-
stitutionellen Monarchie ebenfalls denkbar, obwohl sie bisher in keiner
solchen existirt und überhaupt die Schweiz damit vorläufig allein steht.
Vieles im Leben der Staaten muss überhaupt versucht werden, man würde
niemals ohne Versuch zu der Ueberzeugung von der Möglichkeit gelangen.
Die Freilassung der Sclaven in den amerikanischen Staaten ist ein klassisches
Beispiel dafür, ihr Resultat ist nach dem Buche von Schurz: „The new South“
gegen alle Erwartung ein günstiges gewesen.
126) Die Frage der bürgerlichen Bildung ist eine sehr ernste für Republiken,
und wird in der Schweiz sehr viel besprochen. Der Bundespräsident des
Jahres 1887, Herr N. Droz hat selbst einen „Leitfaden für den bürgerlichen