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durch deren Leitung bedingt ist und das Gesammtwesen nur
durch seinen obersten Führer zu einem geordneten Wesen wird,
während andererseits auch der Monarch nicht für sich, sondern
für die Gesammtheit sich in dieser seiner Stellung befindet, so
scheint die Verschiedenheit der Lage eines obersten republika-
nischen Magistrats und eines Monarchen in mancher Hinsicht
nicht so gross, wie man sie oft machen will, ganz abgesehen
davon, dass in der Geschichte mancher republikanische Präsi-
dent vıel unbeschränkter herrschte, als viele Monarchen und
nicht selten ohne eigentliche Gewaltsrevolution die Republik
aus der Monarchie und die Monarchie aus der Republik hervor-
gegangen ist.
Die grossen Verschiedenheiten zwischen den beiden Situationen
liegen daher vielmehr in der Art und Weise ihrer Auffassung und
in den verschiedenen, beide Lagen oft sehr weit aus einander
führenden, oft aber auch sie einander sehr nahe bringenden Aus-
gestaltungen.
Halten wir uns hier zunächst an den Constitutionalismus und
an das wesentlichste Stück desselben, an die Volksvertretung, so
ist es für die gegenwärtigen Staaten, Zustände u. s. w. ausser
allem Zweifel, dass derselbe wesentlich auf folgenden zwei Punkten
beruht, nämlich:
1. auf dem Bewusstsein eines allgemeinen, von jedem parti-
cularen oder specialen Interesse unabhängigen Nationalinteresses und
2. auf dem Princip, dass Jedermann ausser seiner indivi-
duellen oder Privatpersönlichkeit auch eine Gesammt- oder staats-
rechtliche Persönlichkeit habe und dass diese nur dadurch einen
Rechtscharakter bekomme, dass sie sich in irgend einer Weise in
Staatsangelegenheiten activ zu bethätigen habe.
Oder m. a. W.: Der Constitutionalismus als staatsrechtliche
Einrichtung ist und kann nur sein der unseren Verhältnissen ent-
sprechende feierliche Ausdruck für die Unantastbarkeit des Ge-
sammtwesens und seines ganzen Bestands, für dessen freie An-