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engeren Begriff der Dispens, sondern unter den weiteren des
Privilegs“ (S. 170). Als materielles Recht ist diese Scheidungs-
befugniss nicht aufgehoben. RITTNER ist der erste, welcher sich
aus dem Kreis der Theoretiker für die Auffassung STÖLZEL’s
erklärte. Ihm reihte sich mit Modificationen 1882 v. SCHEURL
an. Dieser hat, angeregt durch den vorerwähnten Streit über
die rechtliche Natur der Dispensation in einer Abhandlung: „Der
Dispensationsbegriff des kanonischen Rechts*?5) sowohl für das
päpstliche wie für das landesherrliche Ehescheidungsrecht den
Charakter der Dispensation zu erweisen versucht. „Als ein wirk-
lich richterlicher Act ist die landesherrliche Ehescheidung so
wenig jemals betrachtet worden, dass für sie vielmehr stets die
rechtliche Unmöglichkeit der Ehescheidung durch einen Richter-
spruch als nothwendige Voraussetzung betrachtet wurde“ (S. 205).
Dieselbe Auffassung begegnet uns in seinem „gemeinen deutschen
Eherecht“, 1882, 8. 331ff. Was die Geltungsfrage anlangt, so
unterscheidet er hier das kirchen- und das staatsgewaltliche
Scheidungsrecht des Landesherrn. „Wo es jetzt noch als ein
Recht der Kirchengewalt behandelt wird, betrachte ich seine
Ausübung mit bürgerlicher Wirksamkeit als ebenso unvereinbar
mit dem Reichsgesetz von 1875, wie die des päpstlichen Scheidungs-
rechts. Wo es aber als schlechthin landesherrliches Recht geübt
wird und seine Uebung als eines solchen durch das Landesrecht
als berechtigt anerkannt ist, kann ich es nicht als durch das
25) Dove’s Ztschr. f. Kirchenrecht. 1882. XVII. S. 201f. STÖLZEL in
Dove’s Ztschr. f. KR. XVII. S. 53 und Dove in Herzog’s Realencyclopädie.
2. Aufl. XIII. S. 473 haben diesen Dispensationsbegriff acceptirt. Der Grund-
gedanke der ScheurL'schen Abhandlung ist: Dispensation ist jede Entbindung
von Gewissens- und dadurch zugleich von Rechtspflichten. Wenn das Ge-
wissen frei ist, besitzt auch das Recht keine Macht mehr. Gegen diesen
Dispensationsbegriff, der alles Mögliche umfasst, vgl. Hınschrus, Kirchenrecht.
II.S. 789 ff. Freisen, Geschichte des canonischen Eherechts, $. 892. BRAND-
HUBER VON ETSCHFELD, Ueber Dispensation und Dispensationsrecht, 8. 4 fl.
Bei Letzterem ist jedoch gleichfalls wieder das Verschiedenartigste zusammen-
geworfen.
Archiv für öffentliches Recht. VI. 1. 92