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Rechtsprechung der Gerichte zu entziehen. Die Revolutionsgesetz-
gebung erklärte zunächst ihre feste Absicht, hiermit zu brechen °?,
kam aber, als es sich darum handelte, Ernst zu machen, aus er-
erbtem Misstrauen gegen die Gerichte auf den alten Zustand
zurück. Artikel 13 Titel II des Gesetzes vom 16.—24. August
1790 verbot den Gerichten überhaupt „de citer devant eux les
administrateurs pour raison de leurs fonctions“ und Artikel 75
der Verfassung vom 22 frimaire VIII, der alle Verfassungen bis
zum Sturze des zweiten Kaiserreichs überlebt hat, bestimmte:
„les agents du gouvernement autres que les ministres, ne peuvent
ctre poursuivis pour des faits relatifs & leurs fonctions qu’en vertu
d’une decision du Conseil d’Etat: en ce cas la poursuite a lieu
devant les tribunaux ordinaires.“
Dem Rechte des ancien regime gegenüber ist hierdurch in-
sofern eine Aenderung getroffen, als es jetzt nicht mehr zulässig
Ist, öffentliche Beamte in Sachen, welche auf ihr Amt nicht Bezug
haben, den ordentlichen Gerichten zu entziehen. Aber für die
Handlungen der Beamten, welche mit dem Amte in Zusammen-
hang stehen, ist der Uebung des alten Königtums gesetzliche Weihe
zu Teil geworden: der Staatsrat entscheidet nach freiem Ermessen,
ob die zivilrechtliche und strafrechtliche Verfolgung eines Beamten
zugelassen werden soll, und braucht für deren Ablehnung keine
Gründe anzugeben.
TOCQUEVILLE sagt, seine Zeitgenossen liessen sich in der
garantie constitutionelle etwas, was ihren Vätern nur durch die
Gewalt habe abgenötigt werden können, unter dem Scheine der
(terechtigkeit gefallen. Er habe oft versucht, den Sinn des Artikels
75 Engländern und Amerikanern, deren Gesetze die Verfolgung
der öffentlichen Beamten vor den ordentlichen Gerichten un-
beschränkt zuliessen, begreiflich zu machen. Sie hätten ihm aber
nie Glauben geschenkt, wenn er ausgeführt habe, der Staatsrat
”® Art. 15 der Erklärung der Menschenrechte: „la societe a le droit de
lemander compte & tout agent public de son administration“.